(„Le Secret de la chambre noire“ directed by Kiyoshi Kurosawa, 2016)
Paris hat nur wenig Verwendung für Leute wie Jean (Tahar Rahim): Eine richtige Ausbildung hatte er nie, er hangelt sich von einem schlecht bezahlten Job zum nächsten. Nun also Fotografie. Auch davon hat er keine Ahnung, was seltsamerweise seinen neuen Auftraggeber Stéphane (Olivier Gourmet) nicht wirklich zu stören scheint. Denn der früher so gefeierte Modefotograf macht auch weiterhin Aufnahmen mithilfe des Daguerreotypie-Verfahrens aus dem 19. Jahrhunderts, das von den Motiven erfordert, über längere Zeit ganz still zu stehen – wozu kaum noch einer bereit ist. Stéphanes liebstes Model ist dabei seine eigene Tochter Marie (Constance Rousseau), die selbst bei stundenlangem Stehen alles über sich ergehen lässt. Bald schon verfällt Jean dem Zauber der schönen jungen Frau. Aber was wird ihr Vater dazu sagen, der bis heute nicht über den Tod seiner Frau hinweg ist?
Auch wenn er zwischendurch natürlich noch andere Genres bedient hat, am meisten kennt man Kiyoshi Kurosawa im Westen dann doch für seine Horrorfilme und Thriller – von seinem Durchbruch Cure über Pulse bis hin zu Creepy, welches letztes Jahr erfolgreich auf mehreren Festivals lief. So ganz überraschend ist es dann auch nicht, dass er für seinen ersten internationalen Film erneut in die düsteren Bereiche der Filmkunst zurückkehrt. Die japanischen Wurzeln sind Daguerreotype dabei aber nicht mehr anzumerken. Und auch mit dem heutigen Frankreich, wo die Geschichte spielt, hat das Werk nicht viel am Hut. Denn eigentlich hat es sich Kurosawa an einem Ort gemütlich gemacht, der völlig unabhängig von Zeit und Raum zu existieren scheint.
Rätsel und Schatten auf Schritt und Tritt
Fürs Publikum ist das Ergebnis eher weniger gemütlich. Von Anfang an, wenn wir das erste Mal das finstere Haus betreten, dessen altmodische Einrichtung begutachten, hat man das Gefühl, dass da etwas nicht mit rechten Dingen vor sich geht. Wie in einem typischen Haunted-House-Streifen ist das Eigenheim des Fotografen abgelegen, ohne große Kontakte zur Außenwelt. Alles knarzt, knirscht, krächzt. Eine junge Frau in altmodischer Kleidung erscheint kurz, nur um gleich wieder verschwunden zu sein. Und wie war das noch mit Stéphanes Ehefrau, über die keiner sprechen darf, deren Schatten aber noch immer still über dem Haus liegt?
Da drängen sich natürlich gewisse Erwartungen auf, werden beim Publikum Theorien entwickelt, wie es mit der Geschichte weitergehen könnte. Und doch scheint nichts davon zu stimmen. Oder vielleicht alles davon. Schon die Titel der belgisch-französisch-japanischen Co-Produktion gibt Rätsel auf. Daguerreotype heißt der Film im Westen, lässt daher vermuten, dass die in den 1830ern entwickelte Technik einen Teil der Lösung darstellt. In Frankreich heißt das Gemeinschaftswerk Le Secret de la chambre noire, was sich hier nicht auf ein konkretes dunkles Zimmer bezieht, sondern ebenfalls auf Fotografie verweist: „chambre noire“ ist das französische Wort für die Camera obscura.
Die Spuren führen ins Nichts
Und doch: So ganz stimmt es nicht. Immer wieder legt Kurosawa Fährten aus, die im nächsten Moment schon wieder passé sind. So wandert der Fokus beispielsweise ständig hin und her von Stéphane über dessen Frau zu Marie bis zu Jean. Später öffnet sich ein neuer Handlungsstrang um den Immobilienhändler Thomas (Malik Zidi, Made in France), der alles verändert und doch auch wieder nicht. Um wen geht es hier eigentlich? Und um was? Die Rätsel in Daguerreotype sind nicht dafür da, die Zuschauer zu einem Ziel zu führen. Die Rätsel selbst sind das Ziel. Schon bei vorherigen Filmen des Japaners gab es diese Tendenz, was zuweilen etwas frustrierend sein konnte. In seinem neuesten Film hat er das Diffuse und Verschwommene nun zu einer Kunstform erhoben, welche die einen fesseln, die anderen tödlich langweilen wird. Einer Kunstform, die jedoch bei all der Unzugänglichkeit sehr atmosphärisch ist und fabelhaft aussieht.
Ob es die unheimlichen Aufnahmen aus einer anderen Zeit sind, die seltsamen Konstruktionen, mit denen Stéphane hantiert, das Haus mit seinen dunklen Ecken – hier gibt es fast immer etwas zu sehen. Zudem begeistern die Schauspieler durch die Bank. Gourmet als unnahbarer Künstler, der herablassend ist und sadistische Züge aufzeigt. Rousseau als gespenstische, unterwürfige Damsel in Distress. Und natürlich Rahim, der sich in dunklen Stoffen bestens auskennt, was er unter anderem in Ein Prophet und Le Passé – Das Vergangene gezeigt hat. Dem darf er nun ein weiteres sehenswertes Kapitel hinzufügen, auch wenn das hier deutlich mehr Geduld erfordert und die Bereitschaft, nicht auf jede Frage eine Antwort zu erhalten. Wer sich für diese ruhigen Mystery-Dramen erwärmen kann, die mehr von der Stimmung als der Handlung leben, der sollte nach Möglichkeit auf der Nippon Connection in Frankfurt a.M. vorbeischauen, wo Daguerreotype seine Deutschlandpremiere feiert. Wer es nicht dorthin geschafft hat, kann den Film ab dem 6. November 2017 im Rahmen der Initiative WALK THIS WAY als VoD bequem daheim sehen.
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