(„Dead Leaves“ directed by Hiroyuki Imaishi, 2004)
Sie wissen nicht, wer sie sind, wie sie dorthin gekommen sind, was sie hier wollen. Eigentlich wissen Retro und Patty gar nichts, als sie eines Tages nackt aufwachen und sich an so gar nichts erinnern können. Aber das passt schon so, schließlich haben sie dafür eine Menge Ideen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Und sie sind fast alle kriminell! Es dauert dann auch nicht lange, bis sie und die Polizei in einem ernsten Konflikt stehen. Kurze Zeit drauf befinden sie sich schon in dem Gefängnis auf dem zerschmetterten Mond. Das ist zwar ein nur wenig einladender Ort. Und doch haben Retro und Patty das Gefühl, dass sie hier die Antworten auf alle Fragen zu ihrer Vergangenheit finden können – sofern sie es schaffen, aus dem Knast zu entkommen.
Wenn es ein japanisches Animationsstudio geht, das für gehobene Science-Fiction-Kunst steht, dann ist es wohl Production I.G: Von Ghost in the Shell über Jin-Roh bis zu Psycho-Pass, da finden sich schon einige Publikumslieblinge im Portfolio. Auf Dead Leaves trifft das eher nicht zu, der Genrebeitrag gehört zu den weniger bekannten der Animeveteranen. Nicht weil er so unscheinbar wäre. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Wer den Anime gesehen hat, wird vielleicht nicht viel damit anfangen können, vergessen wird man ihn aber ebenso wenig.
Abgefahrener und bunter Stilmix
Zunächst einmal sieht man Dead Leaves gar nicht an, dass er aus dem Land der aufgehenden Sonne kommt. Verzerrte Perspektiven, Pop-Art-Figuren, verkehrte Farben – der Anime verfolgt einen ganz eigenen Stil irgendwo zwischen West und Ost, irgendwo zwischen Aeon Flux und Redline. Schön im herkömmlichen Sinn ist das nicht, soll es aber auch gar nicht sein. Wild und laut, grell und over the top: Was hier gezeigt wird, das ist nichts für Feingeister. Und auch nicht für Leute, die sich Details gern in Ruhe anschauen wollen. Alles ist ständig in Bewegung, der Film rast von einer Szene zur nächsten, als ging es darum, einen neuen Geschwindigkeitsrekord anzustellen.
Und so passiert dann auch eine ganze Meng in den etwa 52 Minuten. Gleichzeitig aber auch nicht. Dass sich Regisseur Hiroyuki Imaishi gern an verrückten und auffällig verpackten Geschichten erfreut, das bewies er später in seinen Serien Gurren Lagann und Kill la Kill. Gerade wer den durchgeknallten Humor und den Hang zur Gewalt der Letzteren mag, sollte auch mal einen Blick auf das Frühwerk des Japaners werfen. Wer hingegen der Ausbreitung eines Minimalinhalts auf Maximallänge nichts abgewinnen konnte, der sollte vielleicht besser einen Bogen hierum machen.
Gewaltiger und lustvoller Unsinn
Ja, Dead Leaves hat eine Geschichte. Sie ist nur nicht besonders tiefsinnig. Oder kohärent. Eigentlich geht es nur darum, Retro und Patty von einer Szene in die nächste zu schubsen, damit sie dort entweder ihrer Zerstörungslust Ausdruck verleihen können oder auch einfach nur ihrer Lust. Soll heißen: Der Film ist ausgesprochen brutal und voller Sex. Mal wird über Sex gesprochen, mal wird er ausgeführt. Und manchmal ist man sich nicht so ganz sicher, was die da gerade treiben. Das hat sicher einen gewissen pubertären Charme. Wie oft sieht man schon Figuren, die einen Bohrer im Genitalbereich haben? Und auch Fernseher statt Köpfen sind ein eher seltener Anblick.
Wer seine Filme gern ein bisschen anders mag, darf hier also viel staunen, belachen, mit Alkohol begießen. Ganz so kreativ, wie es sich anhört, ist das Ganze am Ende dann aber doch nicht. Eigentlich ist Dead Leaves auch eher anstrengend als wirklich inspirierend, da trotz des hohen Tempos nichts wirklich vorangeht. Angesichts der Kürze des Films kann man es hiermit mal versuchen, denn die pure, ungefilterte Energie ist schon beeindruckend. Man könnte seine Zeit und sein Geld aber auch in Mind Game investieren, das ähnlich verrückt ist, dabei aber mehr Abwechslung bietet.
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