(„Au Nom de Ma Fille“ directed by Vincent Garenq, 2016)
André Bamberski (Daniel Auteuil) kann kaum fassen, was er da hört: Seine Tochter soll tot sein. Gestorben, eines Nachts, während sie die Ferien bei ihrer leiblichen Mutter (Marie-Josée Croze) und ihrem Stiefvater Dieter Krombach (Sebastian Koch) verbrachte. Zunächst ist Bamberski zu schockiert, um über die Situation nachzudenken, zumal Krombach auch Arzt ist. Und der hatte die 14-Jährige ja tot aufgefunden. Mit der Zeit wird er aber doch misstrauisch, gerade auch, als die Autopsie von Ungereimtheiten spricht. Was ist wirklich in jener Nacht passiert? Was verheimlicht ihm der deutsche Arzt?
Ein Mann, dessen Tochter stirbt und der mehr als 25 Jahre darum kämpfen muss, dass der Fall aufgeklärt und der Täter überführt wird – das ist schon harter Tobak. Umso mehr, da die Geschichte von Bamberski auf einem wahren Fall basiert. Von 1982 bis 2009 hat er gekämpft. Gegen den Verbrecher, gegen das Vergessen. Und auch gegen die Justiz, die sich mal nicht für ihn interessierte, ihn nicht ernst nahm. Die ihn zeitweise auch aktiv behinderte bei der Suche nach der Wahrheit.
Ein Fest für Verschwörungstheoretiker
Warum französische, österreichische, vor allem aber deutsche Gesetzeshüter oftmals augenscheinlich wenig Bedarf daran hatten, den Tathergang abschließend zu klären, darüber lässt sich nur spekulieren. Ein bisschen schüttet Der Fall Kalinka – Im Namen meiner Tochter hier Öl ins Feuer von Verschwörungsspezialisten. Wie kann es schließlich sein, dass ein so offensichtlich schuldiger Mann unbehelligt seiner Arbeit nachgehen kann? Als Arzt auch noch? Da muss doch Geld im Spiel gewesen sein, alternativ persönliche Beziehungen. So zumindest der Eindruck.
Ganz klar: Regisseur und Co-Autor Vincent Garenq setzt bei der Adaption von Bamberskis Geschichte wie schon bei seinem Film Haftbefehl – Im Zweifel gegen den Angeklagten auf einen erhöhten und unerhörten Skandalfaktor – vergleichbar zum ähnlich abstrusen Justizgemurkse in Das Versprechen – Erste Liebe lebenslänglich. Und er setzt auf Bamberski selbst. Andere Figuren tauchen auf, sind aber relativ schnell wieder vergessen. Bedauerlich ist das vor allem bei seiner Ex-Frau Dany, die ebenfalls zu den Vorgängen schweigt. Nur an einer Stelle wird es Darstellerin Marie-Josée Croze (Nobody From Nowhere, Every Thing Will Be Fine) erlaubt, mehr zu sein als ein undurchdringliches, unverständliches Schweigen. Bekommt das unbewegliche Verdrängen kleine Risse, hinter der sich die Tragik ihrer Situation zeigt.
Zu viele Themen, zu wenig Zeit
Da genauer hinzuschauen, dafür fehlt dann aber die Zeit. So wie für fast alles irgendwo die Zeit fehlt. Nicht einmal 90 Minuten ist die deutsch-französische Produktion lang. 90 Minuten, in denen von der ersten Begegnung von Dieter und Dany bis zum dramatischen Finale mehr als drei Jahrzehnte abgehandelt werden müssen. Dass auf diese Weise nicht viel mehr als Momentaufnahmen bleibt, ist klar. Nicht mehr bleiben kann. Ob es die juristischen Absurditäten sind oder auch die schwierigen persönlichen Beziehungen – etwa zwischen Bamberski und seinem Sohn –, Garenq begnügt sich mit Stichpunkten, aus denen das Publikum die restliche Geschichte zimmern kann. Vieles von dem, was bewegend hätte sein sollen, ist es dadurch am Ende nicht. Trotz der durchgängig dramatischen Musik ist der Film überraschend emotionslos.
Im Gegenzug bleibt hier aber auch kein Raum für Langeweile. Durch die hohe Schlagzahl ist hier ständig etwas los, zwischen Hoffen und Bangen verfolgt man das Geschehen. Triumphiert, wenn es doch nach Gerechtigkeit aussieht. Verzweifelt, wenn eine erneute Absurdität diese Aussicht wieder begräbt. Auch wenn der französische Altstar Auteuil (Unter Freunden) nur selten die Gelegenheit bekommt, sein Talent wirklich auszuspielen, seine Darstellung eines unscheinbaren Mannes, der über sich hinaus wächst, fesselt die gesamte Laufzeit über. Dabei verschweigt Garenq die Schattenseiten nicht: Mit der Zeit bekommt sein Kampf zunehmend paranoide Züge, alle anderen Menschen verschwinden aus seinem Sichtfeld. Darunter auch die Menschen, die ihn wirklich gebraucht hätten. Wenn Bamberski zum Ende des Films darüber nachdenkt, dass Kalinka inzwischen 44 Jahre alt wäre, dann bleibt kein Gefühl des Triumphs mehr. Zu groß ist die ohnmächtige Wut über dieses verschwendete Leben – ihres und seines.
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