(„Yu o wakasu hodo no atsui ai“ directed by Ryōta Nakano, 2016)
Irgendwie will im Leben von Futaba Sachino (Rie Miyazawa) gerade nichts so wirklich funktionieren. Erst verschwindet ihr nichtsnutziger Mann Kazuhiro (Joe Odagiri) von einem Tag zum nächsten spurlos, weshalb sie das Badehaus der Familie schließen muss. Ihre Tochter Azumi (Hana Sugisaki) wird an der Schule gemobbt und würde am liebsten nicht mehr das Haus verlassen. Und dann muss sie beim Arzt erfahren, dass sie Krebs im Endstadium hat und ihr nicht mehr viel Zeit bleibt. Eben die will sie daraufhin nutzen, um ihre Familie wieder zusammenbringen. Das führt sie zu neuen Bekannten wie der 9-jährigen Ayuko (Aoi Ito) oder dem Aussteiger Takumi (Tori Matsuzaka), aber auch Menschen, die vor langer Zeit aus ihrem Leben verschwunden sind.
In Japan, da legt man noch viel Wert auf Traditionen. Auf Werte. Auf Familienzusammengehörigkeit. Das zumindest ist das Bild, das man hierzulande gern von dem Land pflegt, in dem die äußere Erscheinung noch sehr viel mehr zählt als bei uns. So richtig viel scheint dieses Bild aber nicht mit dem Alltag zu tun zu haben, zumindest wenn es nach Ryōta Nakano geht. Denn der Regisseur und Drehbuchautor zeigt uns in seinem zweiten Spielfilm, dass auch im Land der aufgehenden Sonne nur mit heißem Wasser gekocht wird. Und selbst dafür braucht es eine ziemliche Tour de Force.
Der Blick auf den alltäglichen Familienwahnsinn
So richtig spannend ist die Grundidee, angesichts des nahenden Todes das Leben in Ordnung zu bringen, natürlich nicht. Die haben viele schon gehabt, zu den unterschiedlichsten Zeiten, in den unterschiedlichsten Ländern. Umso wichtiger ist es, diese Idee dann mit Leben zu füllen. Der Torschlusspanik noch etwas mitzugeben, was sie zu etwas Besonderem macht. Nakano tut dies zunächst, indem er das Gegenteil anstrebt: Er sucht den Alltag. Die Probleme von Ayuko an der Schule, die Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Tochter – Her Love Boils Bathwater bedeutet den Blick darauf zu richten, was Leben innerhalb einer Familie bedeutet. Es fällt dann auch nicht schwer, Mitgefühl für die beiden zu entwickeln, die immer wieder an ihre Grenzen stoßen.
Bald schon entwickelt sich der Film aber in andere, teils unerwartete Richtungen weiter. Zum einen zeigt Nakano immer mal wieder Sinn für Humor, wenn er beim anschließenden Roadtrip kleinere skurrile Momente und Begegnungen einbaut. Und irgendwelche Macken scheint hier ohnehin jeder zu haben – der eine mehr, der andere weniger. Aber all das taugt eher dazu, das Publikum zum Schmunzeln zu bringen. Die gelegentliche Neigung japanischer Geschichtenerzähler zur abgefahren-lustvollen Übertreibung, die ist hier nirgends zu finden. Auf schrille Verrücktheiten muss man verzichten.
Dramatisch gehen Leben und Film zu Ende
Dafür trägt Her Love Boils Bathwater an anderer Stelle gern etwas dicker auf: beim Dramateil. Letzten Endes will der Film, dass Futaba sich riesigen Hindernissen entgegenstellt und dank einer schier unmenschlichen Willenskraft alles zum Guten wendet. Zumindest fast alles, an einer Stelle widersteht Nakano der Versuchung, wirklich jeden Handlungsstrang zu einem Happy End zu führen. Das ist löblich, wenngleich es gar nicht so viele der dieser Stränge gebraucht hätte. Anstatt die Alltäglichkeit beizubehalten, welche die Tragikomödie anfangs auszeichnet, muss dann auf einmal überall etwas Besonderes her. Etwas Dramatisches. Das bleibt nicht ohne Wirkung, gerade zum warmherzig-rührenden Ende hin. Der Glaubwürdigkeit hilft das aber nicht unbedingt, man nimmt dem Film mit der Zeit immer weniger ab, dass er eine Geschichte mit realen Menschen erzählt.
Dass Her Love Boils Bathwater trotz dieser kleineren Entgleisungen und einer leichten Überlänge so sehenswert ist, dass verdankt Nakano auch der wunderbaren Besetzung. Gerade Rie Miyazawa (Samurai in der Dämmerung) als unbarmherzige und doch verletzliche Einmischerin hält Familie wie Film zusammen, allen Widrigkeiten zum Trotz. Dafür durfte sie diverse Preise einsammeln, beispielsweise gewann sie 2017 ebenso wie Filmtochter Hana Sugisaki einen prestigeträchtigen Japanese Academy Prize. Aber auch die etwas im Schatten stehenden männlichen Kollegen fügen sich nahtlos in das positive Gesamtbild ein. Leider hat sich bislang noch kein deutscher Verleih hierfür gefunden. Wer die Chance hat und derlei tragikomische Familiengeschichten mag, sollte deshalb Ende Mai beim japanischen Filmfestival Nippon Connection in Frankfurt a. M. vorbeischauen, wo der Film seine Deutschlandpremiere feiert.
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