Innocent Blood

Innocent Blood

(„Hikari to chi“ directed by Michihito Fujii, 2017)

Innocent Blood
„Innocent Blood“ läuft im Rahmen des 18. Japanischen Filmfests Hamburg (31. Mai bis 4. Juni 2017)

Lange hat Yo mit sich gerungen, bis er endlich den Mut gefasst hat, seiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen. Als die ihn tatsächlich annimmt, kann der junge Geschäftsmann sein Glück kaum fassen! Doch kurze Zeit später ist es schon wieder vorbei, als sie bei einem Amoklauf in der Innenstadt einem Unbekanntem zum Opfer fällt. Auch Hikari macht eine fatale Begegnung, als sie am helllichten Tag brutal vergewaltigt wird und sie anschließend nur noch Rache will. Bei Kota war es hingegen kein Verbrechen, sondern reines Unglück: ein Autounfall auf einer nächtlichen Landstraße ist es, der ihm das Leben kostet und das aller Beteiligten für immer verändern soll.

Mord, ein tödlicher Unfall, eine Vergewaltigung, dazu noch Mobbing – es ist schon eine ganze Menge, was Regisseur und Co-Autor Michihito Fujii hier seinen Protagonisten und damit auch dem Publikum zumutet. Dass man in Japan im weiteren Verlauf eines Dramas gerne mal tragische Ereignisse einbaut, um das Publikum auch unbedingt zum Weinen zu bringen, das haben viele seiner Kollegen demonstriert. Bei Fujii ist das jedoch etwas anders. Hier gibt es keine großen Wendungen gegen Ende hin. Hier beginnt der Film mit der großen Wendung, während der Rest des Films sich mit der Frage auseinandersetzt: Was passiert eigentlich danach?

Über die individuelle Umgang mit dem Schmerz
Eine definitive Antwort darauf gibt Fujii nicht, will das aber auch gar nicht. Es geht bei seinem neuesten Film Innocent Blood nicht darum, den richtigen Umgang mit Schmerz, Trauer und Verlust aufzuzeigen. Stattdessen pickt er exemplarisch drei Unglücke heraus und beobachtet, welche direkten und indirekten Folgen sich hieraus ergeben. Interessant ist hierbei die Gegenüberstellung von Hikari und Yo. Beide sind im Anschluss unfähig, einen Weg zurück in die Gegenwart zu finden. Während Hikari jedoch ihren einzigen Lebensinhalt darin sieht, den Täter büßen zu lassen, ist es bei dem schmerzerfüllten Verlobten gar nicht so eindeutig, überhaupt noch ein Ziel zu sehen. Er ist gefangen in einem Zustand, der kein Hier und Jetzt mehr kennt. Oder auch ein wirkliches „ich“.

Die dritte Geschichte passt da nicht ganz so rein. Denn auch wenn es einen Urheber gibt, so war es kein bewusster Vorgang. Stattdessen stehen hier die Auswirkungen im Vordergrund. Was bedeutet es für die Familie des Unglücksfahrers? Das ist durchaus spannend, teils schockierend, zum Ende hin wie erwartet wahnsinnig traurig. Von einigen Stellen, wo die Musik etwas bedrohlich anschwillt, einmal abgesehen, hält sich Fujii insgesamt dabei aber doch angenehm zurück und lässt seine Geschichten ein bisschen atmen. Es ist dann auch die Natürlichkeit der Darsteller und Situationen, welche Innocent Blood auszeichnet. Zumindest auf der Opferseite lassen sich die Reaktionen der Figuren gut nachvollziehen. Auf die Täter wird hingegen kaum eingegangen, die sind für den japanischen Filmemacher schlicht nicht von Interesse. Nur ein Mittel zum Zweck.

Drei Fäden, die ins Nichts führen
Und auch was die Verknüpfung der drei parallel erzählten Handlungsstränge angeht, ist Fujii eher genügsam. Dann und wann gibt es mal eine Querverbindung. Wer aber wie bei anderen Episodenfilmen darauf hofft, dass Innocent Blood die Einzelschicksale zusammenführt, der wird enttäuscht – sie werden durch ein gemeinsames Thema zusammengehalten, nicht nur eine gemeinsame Handlung. Aber das ist nicht wirklich ein Manko, geht es hier doch darum, die Individualität im Schmerz zu entdecken. Universell ist allenfalls die Schwierigkeit. Und so ist das Drama auch eine gleichzeitig bewegende wie nachdenkliche Auseinandersetzung mit Verlust und Leid, mit Abschluss und Neuanfang, mit Sühne und (Selbst-)Vergebung. Ein regulärer Deutschlandstart steht momentan nicht an. Besucher des 18. Japanischen Filmfests Hamburg dürfen sich deshalb gleich mehrfach freuen, dass der Film dort als Weltpremiere das Festival eröffnet – in Anwesenheit von Fujii höchstpersönlich.



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„Innocent Blood“ zeigt exemplarisch anhand dreier Beispiele, wie unterschiedlich Menschen mit Schicksalsschlägen umgehen. Richtige Antworten sind rar gesät, zudem gibt es keine wirklichen Verknüpfungen der Handlungsstränge. Beides ist aber auch nicht wirklich nötig, das Drama überzeugt durch seine Natürlichkeit und Szenen, die mal bewegen, dann wieder nachdenklich stimmen.
8
von 10