Mr Long
© Rapid Eye Movies

(„Mr. Long“ directed by SABU, 2016)

Mr Long
„Mr. Long“ läuft ab 14. September 2017 im Kino

Auf dem Papier wäre Long (Chen Chang) eigentlich eine richtig tolle Partie: Er sieht gut aus, ist ein begabter Koch, kann auch sehr einfühlsam und hilfsbereit sein. Wäre da nur nicht sein Beruf, der darin besteht, andere Leute umzubringen. Als der taiwanesische Auftragskiller nach Japan reist, geht jedoch etwas gehörig schief und er muss sich vor den Gangstern in einer kleinen heruntergekommenen Siedlung verstecken. Dort trifft er auf den Jungen Jun (Runyin Bai) und dessen drogensüchtige Mutter Lily (Yiti Yao), die wie Long aus Taiwan stammt und als Prostituierte arbeitet. Als Dank für den Unterschlupf hilft er ihr beim Entzug, kocht für sie und wird aufgrund seiner kulinarischen Talente bald zum Liebling des Viertels.

Mit einer ausgiebigen Gewaltszene geht es los: Mr. Long zeigt mit wenig Worten, dafür reichlich Taten, wer die Titelfigur ist, was ihn ausmacht, was von ihm zu erwarten ist. Oder vielleicht auch nicht. Schließlich wurde der Film von Hiroyuki Tanaka inszeniert, besser bekannt unter seinem Künstlernamen SABU. Und wenn der Schauspieler und Regisseur sich hinter eine Kamera klemmt, dann weiß man, dass es gern etwas anders zugehen darf. So auch bei seinem neuesten Werk, das wie ein typischer Action-Gangster-Streifen beginnt und danach zu etwas wird, von dem man gar nicht so genau sagen kann, was es eigentlich ist.

Mal rührend, dann wieder schockierend
Romantische Verbindungen zwischen Verbrechern und Prostituierten, das ist keine ganz neue filmische Erfindung – nicht umsonst gab Khavn de La Cruz seinem Film Ruined Heart den ironischen Untertitel Another Lovestory between a Criminal & a Whore. Tatsächlich macht die Geschichte zweier sich annähernder Außenseiter einen beträchtlichen Teil der über zwei Stunden aus. Dabei schlägt SABU jedoch sehr unterschiedliche Töne an: Während es kleine rührende Momente des Glücks gibt, in denen die drei ein neues Leben inmitten des Abfalls beginnen, spart sich der Japaner auch recht schockierende Momente nicht auf. Die betreffen zum einen die tragische Vergangenheit von Lily, die in Flashbacks erzählt wird, aber auch den Entzug, der ohne jegliche Schönfärberei auskommt.

Also ist Mr. Long am Ende ein Drama? Irgendwie ja, aber auch irgendwie nein. Wäre da nur das Trio selbst, könnte das mit der Schublade durchaus klappen. Dummerweise – oder auch zum Glück – sind sie aber nicht allein, sondern bekommen tatkräftige Unterstützung durch die anderen Bewohner des Viertels. Und die machen aus dem Film weder einen Actionfilm noch ein Drama, sondern eine Komödie. Immer wieder streut SABU dort unerwartete Slapstickmomente ein, die das tragische Drumherum deutlich auflockern und so für Comic Relief sorgen. Gleichzeitig unterstützen aber auch sie die emotionaleren Seiten des Streifens: Wenn sie sich zusammenrotten und aus einfachsten Mitteln für den Fremden eine Suppenküche aufbauen, ohne sich richtig mit ihm verständigen zu können, dann muss man schon selbst ein hartgesottener Gangster sein, um nicht dem ganz eigenen Charme und Zauber dieser internationalen Co-Produktion zu verfallen.

Eine widersprüchliche Welt voller Magie
Geprägt von Kontrasten und doch gleichzeitig harmonisch wird so ein Film daraus, der niemanden direkt bedient. Diese Unentschiedenheit ist oft ein Mangel, SABU schafft es aber, aus den verschiedenen Strängen einen sehenswerten, etwas kuriosen Mikrokosmos zu machen. Einen Einblick in eine etwas andere Welt, die voller Schmutz und doch auch voller Magie ist. Das liegt an dem umfangreichen Farbenspiel des Japaners, der hier zeigt, dass er oft weder Handlungen noch Worte braucht, um eine Geschichte zu erzählt. Das liegt auch an dem Taiwanesen Chen Chang (Monk Comes Down the Mountain, The Assassin), der als distanziert-enigmatischer Fremdling seinen Platz in der realen Welt erst noch finden muss. Bis der ungemein stilbewusste Film in Deutschland bundesweit zu sehen ist, vergeht noch eine ganze Weile, der reguläre Kinostart ist erst im September. Vorab gibt es aber auf zwei japanischen Festivals die Möglichkeit, ihn schon jetzt zu sehen: Sowohl Nippon Connection in Frankfurt a. M. wie auch das Japanische Filmfest Hamburg haben den Geheimtipp Ende Mai im Programm.



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Ein Auftragskiller versteckt sich und kommt einer Prosituierten näher: Das wirkt auf den ersten Blick sehr definiert, kombiniert aber brutale Action mit Drama, Tragik und Romanze sowie mit unerwarteten Slapstickeinlagen. Das passt nicht zusammen und gleichzeitig doch, macht aus dem stilbewussten „Mr. Long“ einen sehenswerten Einblick in eine etwas andere Welt.
8
von 10