(„Rosemari“ directed by Sara Johnson, 2016)
Rosenbordüren, weiße Spitze und ein blutiges Neugeborenes: Unn Toves (Tuva Novotny) Hochzeit gerät vollkommen aus den Fugen, nachdem sie ein kleines Mädchen auf der Hoteltoilette findet. Niemand hat die Mutter gesehen oder weiß etwas über das schreiende Bündel, das die Braut plötzlich an sich drückt. 16 Jahre später steht Rosemari (Ruby Dagnall) plötzlich in Unns Vorgarten, verlegen, linkisch, schüchtern. Unn Tove ahnt nicht, dass sie die junge Frau bereits kennt, die ein Pflichtpraktikum ihrer Gärtnerausbildung vortäuscht, um mehr über die Journalistin herauszufinden. Rosemari glaubt Unn Tove sei ihre Mutter, die junge Frau sehnt sich nach Anhaltspunkten ihrer Wurzeln, obwohl sie in Hanna (Helga Gurren) eine liebevolle Pflegemutter gefunden hat.
„Die Frage der Identität und welche Bedeutung die Frage der eigenen Herkunft dafür hat, das hat mich schon immer interessiert und ist in allen meinen Filmen ein zentrales Thema“, erklärt die Regisseurin Sara Johnson bei den Nordischen Filmtagen. Beim Dreh stellte sie fest, dass sogar drei Leute in der Crew mit ganz ähnlichen Themen zu tun hatten wie Rosemari. Das Drama eröffnete das Lübecker Festival 2016, nachdem der Filmstart in Norwegen bereits für Begeisterungsstürme sorgte. Besonders gelobt wurde Hauptdarstellerin Ruby Dagnall, die zu Beginn des Drehs erst 14 Jahre alt war. Beim Casting beeindruckte sie die Regisseurin derart, dass Johnson ihr Drehbuch anpasste, um Rubys Darstellung von Rosemari stimmig zu machen.
Worauf kommt es bei Beziehungen an?
Aber Rosemaris klassisches Drama ist nicht der einzige Knoten, den Johnson hier gekonnt schürzt: Hinzu kommt einerseits die nicht unproblematische Existenz der geschiedenen Unn Tove, deren Ehe als Vernunftentscheidung scheitern musste. Mit ihrer Geschäftspartnerin Hilde (Laila Goody) ficht sie jedes Mal aufs Neue die Vorherrschaft im menschlichen Gefühlsleben aus: Romantik oder Sex? Liebe oder Lust? Emily Bronté oder E.L. James?
Andererseits verhilft der inszenatorische Kniff einer Doku Johnson dazu, ein differenziertes Porträt der modernen, norwegischen Gesellschaft zu zeichnen. Vom Personal des Luxushotels führt die Spur zu Pferdebauern auf dem platten Land, von einem ehemaligen Unterweltboss im Pflegeheim über das protzige Anwesen eines gemütlichen Pornoproduzenten ins Exil nach Dänemark. Auf der Jagd nach Rosemaris mysteriöser Mutter entfaltet sich ein verzweigtes Geflecht von skurrilen Charakteren, die dieses Roadmovie zu etwas ganz Eigentümlichen machen.
Bekanntes Ende eines überraschenden Weges
Und schließlich verhandelt Rosemari ein Thema, das in letzter Zeit immer dringender wurde – und das zu Recht: Menschen, die aus Angst vor der Meinung der Anderen Entscheidungen treffen, die nicht nur ihnen selbst, sondern auch denen schaden, die sie lieben: Unn Tove wählt einen Ehemann, der nur scheinbar besser zu ihrem Leben passt. Ihre jahrelange Leidenschaft für den Koch Christian (Petter Width), dessen Lebensstil ihr nicht standesgemäß erschien, lässt sie dennoch nicht los. Die selbstbewusste Hilde dagegen hat sich von den Selbstzweifeln befreit, die ihre Mutter ihr in jungen Jahren eingeimpft hat. Die lebenslustige Blondine mit dem losen Mundwerk konterkariert Rosemaris verbissene Suche mit dem augenzwinkernd vorgetragenem Credo, ohne Mutter aufzuwachsen, wäre das Beste, was Rosemari passieren konnte. Das Mädchen selbst glaubt stattdessen, ihre Pflegemutter würde sich für sie schämen, als Hanna wiederholt versucht, sie von ihren Nachforschungen abzubringen. Dieser allzu menschliche Fehler kumuliert im tränenreichem Geständnis von Rosemaris Mutter: Sie hätte sich versteckt, weil sie glaubte, nicht gut genug für ihre Tochter zu sein. Denn, wie erwartet, stoßen die beiden Frauen auf das Objekt ihrer Suche, der Weg dorthin und das Ende hält aber mehr als eine Überraschung bereit.
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