(„The Long Excuse“ directed by Miwa Nishikawa, 2016)
Es ist ein ziemlicher Schock, den Sachio Kinugasa (Masahiro Motoki) da erleidet. Eigentlich wollte der Autor den Urlaub seiner Frau Natsuko nutzen, um sich ein bisschen die Zeit mit seiner Geliebten zu vertreiben. Doch dann kommt der Anruf, dass Natsuko auf der Fahrt dorthin zusammen mit ihrer Freundin Yuki verstorben ist. Für Sachio bricht damit eine Welt zusammen. Nicht, weil er seine Frau so sehr geliebt hätte. Vielmehr muss er feststellen, wie wenig ihn der Verlust mitnimmt – im Gegensatz zu Yoichi (Pistol Takehara), dem Mann von Yuki. Als der Lastwagenfahrer anschließend große Probleme hat, sich um seine Kinder Shinpei (Kenshin Fujita) und Akari (Tamaki Shiratori) zu kümmern, beschließt Sachio kurzerhand einzuspringen und muss dabei feststellen, wie sehr ihm diese unerwartete Rolle gefällt.
Ein Mann, der seine gefühlvolle Seite in sich entdeckt, das geht immer mit der Gefahr eines überhöhten Kitschspiegels einher. Und gerade in Japan mag man es zuweilen ja ganz gern, ein bisschen stärker auf die Tränendrüse zu drücken und aus Alltagsdramen lieber gleich das Ende der Welt zu machen. Bei The Long Excuse ist das etwas anders. Regisseurin Miwa Nishikawa, die hier ihren eigenen preisgekrönten Roman adaptiert, gibt dem Publikum zwar diverse schöne Momente mit auf den Weg, die auf ein Happy End im Leben hoffen lassen. Sie verpasst es aber auch nicht, diesen Weg schwierig zu gestalten, unklar definiert. Und sehr sehr hässlich.
Ein Widerling im schicken Anzug
Das liegt in erster Linie an Sachio. Ihn als unsympathisch zu beschreiben, würde dem Ausmaß seiner Widerwärtigkeit nicht gerecht werden. Dabei ist es nicht einmal der Ehebruch an sich, der ihn zu einem wenig vorteilhaften Protagonisten werden lässt, sondern sein Umgang mit dem Tod seiner Frau. Ihm fehlen jegliche emotionalen Regungen. Dafür ist sein Wille, aus der Sache Kapital zu schlagen, umso größer: Der an Fernsehauftritte gewöhnte Ex-Star inszeniert sich als trauerndes Opfer, der vor der Kamera große Gesten zeigt, daheim anschließend heimlich das Pressefeedback zu seinen Auftritten googelt.
Aber auch bei den anderen Figuren ist Nishikawa sehr daran gelegen, sie nicht als einheitlich gute Alternative zum abgebrühten Sachio zu zeigen. Yoichi ist natürlich der herzlichere und damit liebenswürdigere Mensch, ist aber tendenziell aufdringlich, völlig überfordert, zeigt wenig Einfühlungsvermögen bei seinen Kindern und ist auch sonst recht schlicht gestrickt. Die Kinder selbst wiederum sind natürlich für eine ganze Reihe von Feel-Good-Momenten zuständig, führen aber auch die Schwierigkeiten bei der Erziehung des eigenwilligen, störrischen Nachwuchses vor Auge. Und in einem der härtesten Momente auch, wie grausam Kinder manchmal sein können.
Beiläufig, ruhig, sehenswert
Dabei macht The Long Excuse kein großes Aufheben darum. Was bei anderen Kollegen gern zu gigantischen Geschichten aufgebaut wird, bleibt hier zurückhaltend und beiläufig. Das Drama ist damit denen von Hirokazu Koreeda (Unsere kleine Schwester) näher, die sich lieber mit Alltagsproblemen herumschlagen. Da werden zusammen Schulaufgaben gelöst, nach dem richtigen Essen für die Kinder gesucht. Das ist manchmal von leisem Humor begleitet, so wie der Film insgesamt die ruhigen Töne bevorzugt. Immer wieder kehrt der aber auch zu den dunkleren Gefilden zurück, indem er demonstriert, dass gut gemeint nicht automatisch gut bedeutet.
Nishikawa fand dafür auch die passenden Darsteller: Der ehemalige Sänger Motoki (Gonin) wandelt zwischen Selbstverliebtheit und Selbstzweifeln umher, sein für einen Japanese Academy Prize nominierter Kollege Takehara ist in seiner einfachen Grobheit das Gegenstück dazu. Man muss sich wie bei dieser Art Film üblich auf das etwas langsamere Tempo einstellen. Darauf, dass man sich hier lieber mit Details beschäftigt, anstatt die Geschichte groß vorantreiben zu wollen. Wer das kann und sich Ende Mai 2017 auf der Nippon Connection in Frankfurt a. M. herumtreibt, der sollte sich The Long Excuse daher nicht entgehen lassen, der auf dem japanischen Filmfest seine Deutschlandpremiere feiert.
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