(„Daredevil – Season 2“, 2016)
Nachdem sie es geschafft haben, den mächtigen Kingpin hinter Schloss und Riegel zu bringen, steht für die Anwälte Matt Murdock (Charlie Cox) und Franklin Nelson (Elden Henson) sowie ihre Angestellte Karen Page (Deborah Ann Woll) erst einmal wieder der Alltag an. Und der besteht wie so oft darin, dass sie keine Ahnung haben, wie sie angesichts der kontinuierlichen Klientenflaute die nächsten Rechnungen bezahlen sollen. Zeit zum Nachdenken haben sie aber nicht, da schon das nächste Unheil droht: Der mysteriöse Punisher (Jon Bernthal) treibt sein Unwesen und ermordet einen Verbrecher nach dem anderen. Und dann wäre da noch Matts Ex-Freundin Elektra (Élodie Yung), die plötzlich wieder auftaucht und nicht nur bei ihm für eine ganze Menge Unruhe sorgt.
Als vor etwas mehr als zwei Jahren Netflix begann, mit Daredevil das Marvel-Universum aufzumischen, war das aus zwei Gründen eine Sensation: Disney erlaubte dem Online-Dienst nicht nur, Figuren aus dem eigenen Comic-Stall zu verwenden, sondern auch noch auf eine Weise, die wenig mit dem Marvel Cinematic Universe gemeinsam hatte. Angefangen bei Iron Man bis zu den Avengers-Blockbustern waren die Auftritte der Helden mit reichlich Effektgewittern verbunden. Mit Kämpfen, die ganz offensichtlich im Rechner entstanden waren. Mit Figuren, die auch während des Weltuntergangs immer irgendeinen flotten Spruch auf den Lippen hatten.
Blut, Tränen und viele Leichen
Von Matt Murdock, jenem blinden Anwalt, der nachts als Daredevil verkleidet Verbrecher jagt, würde das kaum einer behaupten wollen. So richtig viel Humor hat er nicht. Und auch keine sehr auffällige Persönlichkeit. Dafür kämpft er noch echt, viel und teils äußerst brutal. Wo der große Marvel-Bruder viel mit Schnitten arbeitet, um einen Kampf imposanter erscheinen zu lassen, dürfen sich die Figuren hier tatsächlich noch richtig eins auf die Nase geben. Oder auch mal jemanden abstechen: Wenn Staffel 2 der Serie erst ab 18 Jahren freigegeben ist, dann hat das schon seine Gründe. Daredevil ist deutlich düsterer als die meist auf Familienfreundlichkeit bedachten Kinofilme des MCU.
Ein weiterer Unterschied ist, dass der Gegenspieler – wie auch bei dem Netflix-Kollegen Jessica Jones – deutlich stärker in die Geschichte integriert ist. Anstatt nur ein Wegwerfprodukt zu sein, dessen einziger Zweck Kämpfe sind, waren die Figuren Dreh- und Angelpunkt. Das Ergebnis war bei Staffel 1 recht zwiespältig. Zum einen war man der Figur Kingpin ausgeliefert. Wer nichts mit dem leicht lächerlichen Wüterich anfangen konnte, der war angesichts der mangelnden Abwechslung der Serie schnell gelangweilt. Außerdem hatte dies den Nachteil, dass der Alltag der Kanzlei völlig ignoriert wurde. Immer wieder wurde betont, wie sehr Matt und Franklin Klienten brauchen. Auswirkungen hatte dies jedoch kaum.
Komplexere Figurenkonstellation mit Schwächen
Die zweite Staffel ist da ganz ähnlich, teils besser, teils schlechter. Während die Büroarbeit nun nicht einmal mehr vorgetäuscht wird, was dem bodenständigeren Anstrich der Serie entgegenläuft, hat sich bei der Figurenkonstellation einiges getan. Vor allem Punisher ist eine echte Bereicherung, da sie anders als Kingpin irgendwo zwischen den Fronten zu Hause ist, kein reiner Held, kein reiner Bösewicht. Stattdessen: eine blutrünstige Bestie mit einem großen Gerechtigkeitssinn. Wie oft bekommt man so etwas schon zu sehen? Ob es genug ist, um das geplante Spin-off zu füllen, bleibt abzuwarten. Zumindest Daredevil profitiert aber von seiner Anwesenheit.
Der zweite Neuzugang kann es da nicht ganz mit aufnehmen. Sicher, auch Élodie Yung gibt während der zahlreichen Kämpfe eine gute Figur ab. Darüber hinaus scheint ihre einzige Funktion aber die zu sein, Matt herauszufordern und dessen dunklen Seiten herauszukitzeln. Das gelingt mal mehr, mal weniger, gehört insgesamt aber zu den interessanteren Entwicklungen der Serie. Während das Ensemble so größer wird und die Beziehungen untereinander komplexer, leiden einzelne Figuren unter zu wenig Aufmerksamkeit. Franklin versucht zwar, sich als Anwalt zu etablieren, ist aber immer nur zweite Wahl. Und Claire Temple (Rosario Dawson) ist fast völlig verschwunden. Da auch Elektra als Figur weitestgehend blass bleibt, liegt es nun ausgerechnet an Karen, für etwas weibliche Kontur zu sorgen. Das tut der Serie auch tatsächlich gut, die sich verzweigende Handlung ist deutlich spannender als die geradlinige Geschichte des Auftakts. Letzten Endes bleibt aber auch Staffel zwei aufgrund alter wie neuer Schwächen nur ein solider Beitrag zum stetig wachsenden Marvel-Universum.
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