(OT: „Agassi“, Regie: Chan-wook Park, 2016)
Der Plan war so einfach, da konnte eigentlich nichts schiefgehen. Ein Heiratsschwindler, der sich selbst den Namen Graf Fujiwara (Jung-woo Ha) gibt, plant die schöne Hideko (Min-hee Kim) zu ehelichen. An ihr als Person hat er dabei nur wenig Interesse. Vielmehr hat er es auf die großen Reichtümer von ihr und ihrem Onkel Kouzuki (Jin-woong Cho) abgesehen. Helfen soll ihm hierbei Sookee (Tae-ri Kim), die als Taschendiebin reichlich Erfahrung gesammelt bei der Erleichterung um Hab und Gut. Tatsächlich gelingt es der jungen Frau, eine Anstellung auf dem Anwesen der Familie zu ergattern. Was jedoch weder sie noch Fujiwara geahnt hatten: Je mehr Zeit die beiden Frauen miteinander verbringen, umso stärker werden deren Gefühle füreinander.
Schon wieder ein südkoreanischer Krimi, der in der Zeit der japanischen Besatzung spielt? Daran mangelt es ja nicht unbedingt, in schöner Regelmäßigkeit erscheint Nachschub aus diesem Segment. Als Setting ist das, zumindest aus westlicher Sicht, auf Dauer vielleicht etwas eintönig. Das heimische Publikum scheint dessen aber nicht müde zu werden und belohnt die Filmemacher immer wieder mit hohen Einnahmen. Dass Die Taschendiebin dennoch nur bedingt mit Kollegen wie The Wasted Times zu vergleichen ist, das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen basiert der Film – wenn auch nur lose – auf dem Roman „Solange du lügst“ von der Waliser Autorin Sarah Waters. Der Schauplatz wurde hier zwar stimmig nach Korea versetzt, auf die Geschichte selbst hat dies jedoch nur wenig Einfluss. Außerdem stammt der Film nun mal von Chan-wook Park (Oldboy, Lady Vengeance). Und der ist eher durch ganz andere Punkte bislang aufgefallen als großen Nationalismus.
Ein Blick in die seelischen Abgründe
Gewalt zum Beispiel. Die gibt es auch hier, wenngleich eher selten, etwa bei einer ausgedehnten Folterszene. Aber selbst wenn der Body Count hier bescheiden ausfällt, seine Vorliebe für seelische Abgründe hat der Südkoreaner nicht abgelegt. Wie bei seinem kurzen Hollywood-Ausflug in Stoker – Die Unschuld endet nutzt er ein abgelegenes Haus und schöne Bilder, um uns zu demonstrieren, wie verdorben und grausam Menschen hinter der Fassade sein können. Einer der wichtigsten Schauplätze ist dann auch ein Keller, in dem einiges aufbewahrt wird, das nicht für die Augen anderer gedacht ist. Missbrauch ist aber auch außerhalb an der Tagesordnung, andere werden ausgenutzt – sei es zur Bereicherung oder zur Befriedigung von Gelüsten –, zur Not werden drakonische Strafen angedroht.
Die Taschendiebin ist jedoch nicht allein ein erlesen bebildeter Ausflug in die Hölle des Alltags, sondern auch ein Krimi. Drei größere Kapitel enthält der Film, die eigentlich alle dieselbe Geschichte erzählen, nur aus verschiedenen Blickwinkeln. Was zunächst noch wie ein gradliniger Raubzug klingt, wird so von Mal zu Mal komplexer. Szenen bekommen eine neue Bedeutung, nicht zuletzt, weil die Protagonisten nicht ganz das sind, was sie erscheinen. Das sollte nicht überraschend kommen, da zwei von ihnen von Anfang an als Betrüger gekennzeichnet werden. Und doch dürften auch krimiaffine Zuschauer nicht jede einzelne Wendung vorhersehen, die Park hier vorbereitet hat.
Bitte etwas Geduld mitbringen
Das ist insgesamt recht spannend, wenn traditionelle Krimikost auf bizarre Zwischenspiele treffen, die oftmals erotischer Natur sind. Dennoch kommt der schon in der kürzeren Fassung 145 Minuten lange Film nicht ohne zähe Passagen aus. So intensiv die sich mit der Zeit verstärkende Beziehung zwischen den beiden jungen Frauen auch gibt, so uninteressant sind deren Sexszenen geworden. Da mag Park ein wenig zu spät dran sein, Blau ist eine warme Farbe hat vor einigen Jahren voller Leidenschaft viele Türen eingetreten, durch die er jetzt nur noch durchspaziert – in einem recht behäbigen Tempo. Aber auch wenn die Geschichte zwischendrin Faden und Aufmerksamkeit verliert, man ein wenig Geduld mitbringen muss, so ist Die Taschendiebin doch ein sehr sehenswerter Film, der in Asien nicht ohne Grund reihenweise Preise eingesammelt hat.
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