(OT: „Jeunesse“, Regie: Julien Saman, 2016)
Zico (Kévin Azaïs) hat genug von seinem beschaulichen, schrecklich langweiligen Leben in Le Havre. Er will raus in die weite Welt, endlich etwas erleben! Und so heuert er auf einem rostigen Frachtschiff an, das Kurs Richtung Afrika nimmt. Erfahrungen hat der junge Mann keine, dafür einen umso größeren Willen. Tatsächlich gelingt es ihm auch, den Kapitän Firmin Paillet (Jean-François Stévenin) zu überreden, ihn mitzunehmen auf die große Fahrt. Ganz so toll wie vorgestellt ist der Alltag auf dem Schiff jedoch nicht. Nicht nur, dass Zico ständig niederste Arbeiten ausführen muss, er gerät auch regelmäßig mit dem Ersten Offizier José Géraud (Samir Guesmi) aneinander. Und wenn es hart auf hart kommt, auch das muss er schmerzhaft feststellen, zählt ein Menschenleben auf hoher See ohnehin nicht viel.
Das Meer ist immer wieder ein dankbarer Schauplatz für Filme, ganz gleich, ob man nun in Komödiengewässer schippert, Dramen erzählen will, große Abenteuer oder sich in Horrorabgründe stürzt. So groß ist die Faszination mit der unendlichen, unzähmbaren Natur, dass Regisseure auch damit durchkommen, wenn sie ihrer Geschichte eine kleine Pause geben. Hauptsache, es gibt was zu sehen. Das wird besonders gern für solche Filme genommen, in denen die Reise auf dem Wasser als metaphorische verstanden wird. Wo um mich herum nichts ist, da bin ich. Das Meer als Spiegel eines selbst.
Zwischen Selbstsuche und Freiheitsdrang
Lichtes Meer und Alice und das Meer nutzten dies beispielsweise, um ihre jeweiligen Figuren auf einen Selbstfindungstrip zu schicken. Ersterer war ein klassisches Coming-of-Age-Drama, angereichert um eine LGBT-Komponente, der zweite Streifen war vor allem mit dem Thema Freiheit beschäftigt. Was bedeutet es, in einem Schiff unterwegs zu sein, wo es keine gesellschaftlichen Zwänge mehr gibt? Wo die einzigen Regeln die von Mutter Natur sind? Was macht das mit mir?
Jeunesse, eine französisch-portugiesische Co-Produktion, nimmt eine Art Zwischenposition ein. Auch hier geht es um einen jungen Menschen, der nicht so recht weiß, was er vom Leben und sich selbst erwarten soll. Kombiniert wird das mit dem konfliktträchtigen Freiheitswillen des zweiten Films. Eigentlich wird hier ständig gestritten, es gibt kaum eine Szene, die ohne Streitigkeiten und kleinere Machtkämpfe auskommt. Das hört sich jedoch spannender an, als es letztendlich ist. Gestritten wird hier selten um Inhalte oder aus nachvollziehbaren Anlässen. Vielmehr ist es wohl der Alltag auf engem Raum, der die Nerven etwas blank werden lässt und damit auch die des Publikums strapaziert. Wenn Streitigkeiten zum Selbstzweck werden, dann kann das schnell ermüdend werden.
Auf dem Meer, da gibt es keine Geschichte
Auch sonst hat Regisseur und Drehbuchautor Julien Saman erstaunlich wenig zu erzählen. Ursprünglich ist der Franzose ja im Dokumentarbereich zu Hause, gibt hier sein Spielfilmdebüt. Und das sieht man – im Positiven wie Negativen. Es sind ihm eine Reihe schöner Aufnahmen gelungen, welche das raue Leben mitten auf dem Meer gut einfangen. Dass er eine Verbindung zu diesem hat, das hatte er bereits 2004 in La peau trouée bewiesen, wo er fünf Schiffsmänner begleitete. Von einigen kleineren Kameraspielereien abgesehen hält sich Saman nah an an, was er vorfindet. Die Voraussetzungen für ein lebensnahes Drama sind also nicht die schlechtesten.
Er verpasst es jedoch, dieser Sinnsuche auch inhaltlich ein bisschen was mit auf den Weg zu geben. Ungefähr 80 Minuten dauert das Werk: nicht viel für einen Spielfilm und wohl doch zu viel, um darin eine wirkliche Entwicklung einzubauen. Viele Szenen gibt es da, die aus dem Nichts auftauchen und ebenso urplötzlich aufgegeben werden. Schnappschüsse aus einer Überfahrt, die immer kurz vor der Katastrophe steht. Die sind für sich genommen zwar alle nicht verkehrt, auch den Darstellern kann man hier nichts vorwerfen. Sie fügen sich aber nicht zu einem Film zusammen. Alles passiert hier irgendwie, bis es dann wieder vorbei ist. Da zudem die Figuren größtenteils sehr unsympathisch sind, selbst Zico nicht unbedingt zum Mitfiebern einlädt, bleibt beim Beitrag vom 35. Filmfest München nicht genug zurück, um die Reise so richtig zu rechtfertigen. Da waren die oben genannten Kollegen doch deutlich interessanter.
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