Leider verwandt

Vadder, Kutter, Sohn

(„Leider verwandt“ directed by Lars Jessen, 2017)

Filmfest Muenchen 2017
„Leider verwandt“ läuft im Rahmen des 35. Filmfests München (22. Juni bis 1. Juli 2017)

Zehn Jahre haben sie sich inzwischen schon nicht mehr gesehen. Entsprechend groß ist die Überraschung von Krabbenfischer Knud (Axel Prahl), als auf einmal sein Sohn Lenny (Jonas Nay) wieder vor ihm steht. Die Freude bekommt aber gleich einen Dämpfer, als er feststellen muss, dass Lenny eigentlich auch gar keine große Lust hat, den Kontakt wiederaufzunehmen. Zu groß sind die Differenzen, zu tief sitzen die Verletzungen von damals. Während Knud versucht, irgendwie doch wieder Zugang zu seinem Sohn zu finden, droht von anderer Seite noch mehr Ungemach: Sein Männerchor hat sich bei dem Versuch, eine begehrte Auszeichnung zu bekommen, heillos zerstritten.

Verwerfung, kleine Geheimnisse, unausgesprochene Konflikte – all das kommt in den besten Familien vor. In den weniger tollen ohnehin. Und so richtig toll scheint es bei der in Vadder, Kutter, Sohn aka Leider verwandt nie gewesen zu sein. Wer daran schuld ist, daran lässt der Film keinen Zweifel: Der Papa war’s! Und man kann sich lebhaft vorstellen, wie viel Knud in seinem Leben so vermurkst hat – es reicht hier anderthalb Stunden mit ihm zu verbringen. Ob es seine Spielschulden sind, seine kleinen Betrügereien, die ständigen Lügen. Wenn dann jemand noch nicht einmal in der Lage ist, über diese Probleme zu reden, glaubt man Lenny sofort, wenn der sagt, dass er einfach weg musste.

Ein sympathischer Nichtsnutz
Und doch begegnet Leider verwandt dem nicht ganz vorbildlichen Familienoberhaupt mit einer Menge Sympathie. Knud, auch das wird deutlich, ist an und für sich kein schlechter Mensch. An seiner Zuneigung für Lenny etwa gibt es keinen Zweifel. Er ist nur sehr ungeschickt darin, diese auch zu zeigen. Damit steht er nicht allein, nicht jeder Mensch ist von Natur aus souverän im Umgang mit anderen. Tatsächlich erzählt Regisseur Lars Jessen (Der letzte Cowboy) hier eine Geschichte, die – bei allen kleineren Übertreibungen – einen doch sehr universellen Charakter hat.

Größere Überraschungen sollte man hier dann auch nicht erwarten, das war gar nicht Sinn und Zweck des TV-Films, der seine Weltpremiere auf dem Filmfest München 2017 feiert. Konflikte sind schließlich dazu da, gelöst zu werden, der Zuschauer soll sich am Ende ja auch wohl fühlen. Ein bisschen schnell ist es dann schon, wie hier manches aufgelöst wird. Wer einen Moment nicht aufpasst, hat gleich das Gefühl, eine halbe Stunde verpennt zu haben. Oder ein halbes Leben. Hinzu kommt, dass vieles nicht zu Ende erzählt wird: Die offensichtlich komplexen Beziehungen der Leute in dem kleinen Nordsee-Fischerdorf zeigen, dass da früher eine Menge vorgefallen ist. Nur was, darüber schweigt man sich hier aus. Bei vielen Nebenfiguren bekommt man den Eindruck, dass sie irgendwie wichtig sind, ohne es am Ende zu sein.

Charme und Witz statt inhaltlicher Tiefe
Eine vorhersehbare Geschichte, die zudem viele Lücken aufweist – das klingt jetzt nicht sehr vielversprechend. Und doch gibt es zwei Punkte, die Leider verwandt so sehr aufwerten, dass man ihm – wie auch Knud – alle Schwächen und Mängel verzeiht. Zum einen verzichtet der Film völlig darauf, auf die Tränendrüse zu drücken. Es werden keine tragischen Geheimnisse hervorgekramt, man findet nicht in überschwänglichen Herzschmerzmomenten zueinander. Stattdessen bleibt die Komödie ihrem heiteren Ton bis zum Schluss treu, setzt auf ihren knorrigen Norddeutschland-Charme, auf Dialoge, bei denen wirklich kein Wort zu viel ist.

Und dann wäre da noch das Duo Axel Prahl (Alles inklusive) und Jonas Nay (Deutschland 83), das als unzugängliches und mächtig stures Vater-Sohn-Gespann bestens harmoniert. Nay, sonst auf ernste bzw. traurige Rollen gebucht, darf hier neben seinem musikalischen Talent, das er sonst in seiner Band Northern Lights auslebt, auch mal sein komisches zeigen. Gerade weil er hier überwiegend schlecht gelaunt durch die Gegend schlurft, nur für trockene Kommentare überhaupt den Mund aufbekommt, kommt es zu einer Menge unterhaltsamer Reibungen mit seinem Filmpapa, denen man doch ganz gerne zuschaut. Wirklich mehr als TV-Zerstreuung für zwischendurch ist Leider verwandt zwar nicht. Aber doch immerhin eine sympathische, mit der man sich gut die Zeit vertreiben kann.



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Ein Vater trifft nach zehn Jahren Funkstille auf seinen entfremdeten Sohn – das ist eigentlich Dramamaterial. „Leider verwandt“ macht daraus aber eine sympathische TV-Komödie, die zwar sowohl unter Vorhersehbarkeit und Oberflächlichkeit leidet, dies aber mit viel Witz und nordischem Charme ausgleicht – und einem wunderbaren Vater-Sohn-Gespann.
7
von 10