(OT: „The Burglar“, Regie: Hagar Ben Asher, 2016)
Im Leben von Alex (Lihi Kornowski) geht es derzeit so richtig drunter und drüber. Ihre Mutter ist verschwunden, einfach so, und hat die 18-Jährige sich selbst überlassen. Die hat seither ziemlich daran zu knabbern. Finanziell zum einen, trotz zweier Jobs gelingt es ihr kaum, die Wohnung weiter zu finanzieren. Es macht ihr aber auch schwer zu schaffen, dass ihre Mutter gegangen ist, ohne etwas zu sagen. Ohne auf eine ihrer vielen Nachrichten zu reagieren. Halt findet Alex derzeit vor allem darin, bei fremden Menschen einzubrechen. Und auch bei Michael (Ronald Zehrfeld). Denn der deutsche Geologe hat es ihr schon auf den ersten Blick sehr angetan. So sehr, dass klar ist: Sie muss den Fremden kennenlernen, egal wie.
Das Teenagerdasein ist ja praktisch nie einfach, für niemanden. Selbstzweifel, Sinnkrisen – das gehört auf dem Weg ins Erwachsenenalter einfach dazu. Aber es gibt doch noch Mittel und Wege, aus der universellen Hölle eine ganz besondere und individuelle zu machen. Alex, so scheint es zumindest zu Beginn, ist dabei gar nicht so anders. Unterscheidet sich nicht wirklich von ihren Mitschülerinnen. Erst als sie die Doppelbelastung aus finanziellen Sorgen und familiärer Vernachlässigung trifft, tut sich etwas in ihr. Wilder wird sie, unerschrockener. Oder ist es doch nur pure Verzweiflung, die sie antreibt?
Als wäre es ein Traum … oder doch nicht?
Eine richtig eindeutige Antwort verweigert Hagar Ben Asher hierauf. Insgesamt hält sich die israelische Filmemacherin bei ihrer dritten großen Regiearbeit gern im Nebulösen auf. Zwar wagt sie sich nie vollkommen in surreale Gefilde vor – anders als etwa Ava, das zeitgleich auf dem 35. Filmfest München läuft. Und doch hat The Burglar oft etwas Traumartiges an sich. Immer wieder sehen wir Szenen, bei denen Asher offen lässt, ob sie real oder doch nur ein Bild aus ihrer Vorstellungskraft ist.
Denn die ist schon recht stark ausgeprägt: Vor allem ihre Begegnungen mit einer Jaguardame im Zoo inspirieren sie zu immer neuen Fantastereien. Das lädt entsprechend freudig zu Interpretationen ein. Geschehen die zum Teil rätselhaften Dinge tatsächlich? Und wenn ja, aus welchem Grund? Was erhofft sich die junge Frau von ihrer deutlich älteren Zufallsbekanntschaft? Manche Leerstellen in der Geschichte wären dabei nicht unbedingt notwendig gewesen. So bleibt die Mutter von Alex eine Fremde: Mehrfach lässt sich Asher zu Hinweisen hinreißen, ohne ihnen anschließend aber zu folgen. Die Geschichte um ihren Vater wird gleich ganz ignoriert.
Verwirrung ist hier Programm
Das könnte den einen oder anderen im Publikum ärgern oder zumindest überfordern, gerade auch beim betont offenen Schluss. Und doch war es wohl auch gar nicht das Anliegen von The Burglar, eine konkrete Geschichte zu erzählen. Wichtiger waren Asher die allgemeine Stimmung und das Eintauchen in die Gefühlswelt ihrer jungen Protagonistin. Ein schöner Einfall hierbei sind die kleinen Diebestouren von Alex: Die nimmt über die Wertgegenstände hinaus immer auch ein persönliches Andenken mit. Bald schon steht der Eindruck im Raum, dass die ursprünglich aus finanzieller Notwendigkeit entstandenen Beutezüge ein Eigenleben entwickeln. Es ist das Leben ihrer Opfer, das sie nun interessiert, das sie für sich will.
Das erinnert ein bisschen an Replicas – In their Skin, wenn auch nicht im selben heftigen Umfang: The Burglar will – bedrohlicher Situationen zum Trotz – kein Thriller sein, sondern ist das Porträt eines jungen Menschen auf der Suche. Ein Mensch, der sich selbst in anderen Leuten zu finden versucht. Manchmal eben auch in ihren Träumen. Das ist manchmal spannend, oft traurig, im Großen und Ganzen faszinierend. Manchmal aber auch frustrierend, wenn Asher sich kaum für Details oder andere Figuren interessiert, der Film an einigen Stellen – bei aller Liebe zum Mysteriösen – nicht so ganz durchdacht wirkt. Dennoch wäre es schön, wenn dieser etwas andere Vertreter des Coming-of-Age-Dramas noch seinen regulären Weg in die deutschen Kinos findet: Wenn Alex durch die kargen Landschaften Israels wandert, sucht und sehnt, dann fällt es nicht schwer, mit ihr zu fühlen. Denn so ungewöhnlich ihre Reaktion auf die Situation auch sein mag, ihr rastloses Drängen auf etwas, an dem sie sich festhalten kann, auf etwas, das sie selbst ist, das dürfte den meisten doch recht vertraut sein.
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