(OT: „Gate“, Regie: Takahiko Kyōgoku, Japan, 2015)
Es ist ein echter Traum, der da für Yōji Itami wahr wird. Zum Teil zumindest. Als eingefleischter Otaku kennt er sich natürlich bestens aus in Fantasywelten – wofür der 33-jährige Soldat auch regelmäßig Spott und Hohn einstecken muss. Dass Orks und andere Fabelwesen plötzlich aber in Tokio auftauchen und Menschen abschlachten, das geht dann doch ein wenig zu weit. Umso mehr, da Itami deshalb seine geliebte Convention verpasst. Und an der Stelle ist ja auch lange nicht Schluss: Kaum sind die Invasoren vertrieben, beschließt Japan, durch das noch geöffnete magische Tor zu schreiten und nun seinerseits das gegnerische Land unter Beschuss und nach Möglichkeit in Besitz zu nehmen.
Na, das ist doch mal ein echtes Culture Clash. Wo bei anderen Filmen und Serien über Streitigkeiten zum Essen oder Pünktlichkeit für Reibungen sorgen, geht man bei Gate doch einen ganzen Schritt weiter und greift gleich zu den Waffen. Da wird dann zwar nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen, wohl aber auf Drachen. Hört sich komisch an? Ist es auch. Die Adaption einer Light-Novel-Reihe von Takumi Yanai kombiniert klassische Fantasywelten à la Record of Lodoss War oder Bastard!! mit neuzeitlicher Kriegsmaschinerie. Dass das nicht zusammenpassen kann, ist klar, soll es wohl auch nicht. Tatsächlich besteht ein großer Teil des Reizes hier darin, wie zwei Welten aufeinanderprallen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.
Wenn der Ausnahmezustand zur Normalität wird
Das ist bei Animes natürlich keine Seltenheit. Zwei von Hayao Miyazakis Evergreens (Mein Nachbar Totoro, Chihiros Reise ins Zauberland) beginnen damit, dass Kinder zufällig mit Fabelwesen in Berührung kommen. Dort geht es jedoch mehr darum, uns diese fremde Welt zu zeigen – eben durch die Augen eines staunenden Kindes. Staunen tut in Gate jedoch kaum jemand, nach dem ersten Schock haben sich die Menschen relativ schnell darauf eingestellt, dass ihnen Monster, Elfen und Hexen gegenüberstehen. Der Kontrast dient oft in erster Linie der Erheiterung.
Auch sonst wird die Animeserie durch humorvollere Elemente aufgelockert. Da wäre der besagte Itami, der eigentlich nur deshalb arbeitet, um seine Otaku-Hobbys finanzieren zu können. Ein Mann, der eigentlich so gar nichts auf die Reihe bekommt, mit seinen 33 Jahren für einen Anime eigentlich viel zu alt ist. Ein typischer Verlierer eben. Zusätzlich laden kleine satirische Spitzen gegen die USA zum Schmunzeln ein. Oder auch eine Goth Lolita mit magischen Kräften, deren Körper durch das Kriegsleid anderer zum Beben gebracht wird.
Kleine Ausflüge in de Politik
Und doch ist Gate keine reine Komödie. Der absurde Kontrast von Realo zu Fantasy macht nur einen Teil des Animes aus. Daneben warten auch eher herkömmliche Bestandteile japanischer Erzählkunst. Da gibt es viel Verrat, Opferungsbereitschaft, Drama. Und erstaunlich viele Menschen sowie andere Fabelwesen, die vorzeitig ihr Leben lassen müssen. Umstritten ist die Serie für die kaum verhohlene Bewunderung und Idealisierung der japanischen Selbstverteidigungskräfte – ein echtes Politikum. Auch sonst gibt es immer mal wieder Anzeichen, dass die Serie ein bisschen mehr sein und sagen will. Die Art und Weise, wie sich die Menschenwelt angesichts der bedrohlichen und zugleich vielversprechenden Fantasywelt verhält, das lässt auch Rückschlüsse auf die Welt außerhalb des Fernsehers zu. Die große Zeit der Kolonisierung, die mag eine ganze Weile zurückliegen. Der Wunsch, andere zum Besitz zu erklären, der ist aber nicht totzukriegen.
Aber das sind trotz allem eher Nebenschauplätze. Im Mittelpunkt steht eher seichte Unterhaltung nach bekannten Mustern – etwa das allseits beliebte Haremsmotiv. Zwischenzeitlich verliert sich Gate dann auch in der Beliebigkeit, es ist nicht mehr ersichtlich, was die Geschichte eigentlich gerade erzählen will. Dass die Optik von A-1 Pictures (Sword Art Online – Ordinal Scale, The Perfect Insider) eher durchwachsen ist, hilft auch nicht unbedingt dabei, die Serie aus dem großen Angebot hervorstechen zu lassen. Aber vielleicht ändert sich das ja noch während der zweiten Staffel, die wie die erste auf vier Volumes verteilt hierzulande erscheint.
(Anzeige)