(„Orange is the New Black – Season 4“, USA, 2016)
Orange is the New Black ist eine der eigenartigsten Serien, welche momentan produziert werden. Auf der einen Seite ist sie vorhersehbar wie kaum eine andere. Wie viel Abwechslung kann eine Geschichte schon bringen, die fast ausschließlich in einem Frauengefängnis spielt? Das Ensemble ändert sich zwangsweise wenig, die Themen ebenfalls. Streckenweise neigt das Netflix-Original deshalb auch zum Formelhaften. Von der mangelnden Entwicklung ganz zu schweigen, wenn mal wieder jeder nur mit sich selbst beschäftigt ist.
Und doch weiß man bei Orange is the New Black nie genau, was wohl als nächstes passieren ist. Das zeigt sich besonders bei Piper Chapman (Taylor Schilling). Mit der Inhaftierung der unscheinbaren, braven jungen Frau fing alles an, gemeinsam mit ihr lernten wir, was es heißt, in einem Gefängnis zu sein. Sich Duschen und Schlafkojen teilen zu müssen. Sich Verbündete suchen zu müssen, um mit der Gewalt und dem Druck fertigzuwerden. Mit der Zeit wurde Piper aber immer unwichtiger. Zudem verlor sie gerade in Staffel 3 den Status als Sympathieträger und Identifikationsfigur, wenn sie ungeahnte dunkle Seiten in sich entdeckt.
Neue Wege der Hässlichkeit
Beide Tendenzen werden in Staffel 4 fortgesetzt. Plötzlich stürzt sich die Serie in Abgründe, die man in der Form kaum erwartet hätte. Und Piper verschwindet teilweise völlig von der Bildfläche, überlässt ganz anderen Figuren die Bühne. Das ist dann auch eine der Stärken und Schwächen der Serie: Anstatt wie bei den meisten Serien eine feste Crew zu haben, mit der man durch dick und dünn geht, gibt es in Orange is the New Black eine inzwischen unüberschaubare Anzahl an Charakteren. Wer in der einen Staffel noch eine Hauptfigur war, wird später auf die eine oder andere Weise entsorgt. Dafür treten bisherige Nebenfiguren plötzlich in den Mittelpunkt, zahlreiche Flashbacks machen aus einem Gesicht eine Geschichte.
Dieses Mal sind es Blanca Flores (Laura Gómez) und Maria Ruiz (Jessica Pimentel), die aufgewertet werden. Dabei waren die Damen schon die vorherigen drei Staffeln. Aber erst jetzt werden sie zu richtigen Charakteren aufgebaut – als Gegenspielerinnen von Piper. Zumindest hier besinnt sich die Serie auf ihre Wurzeln: Anders als in Staffel 1 und Staffel 2 wurde letztes Mal darauf verzichtet, wirkliche Antagonisten zu schaffen. Hier gibt es sie wieder. Und das in vielen Bereichen. Tatsächlich ging es bei den Knastschwestern selten so konfliktreich zu wie hier: Plötzlich kämpfen sämtliche Bevölkerungsgruppen gegeneinander, aber auch gegen die neuen Wärter – angeführt von Desi Piscatella (Brad William Henke).
Aus Spaß wird Ernst
Insgesamt ist der Ton deutlich finsterer geworden. Was anfangs der Komödie näher war, entwickelt sich immer weiter in Richtung Drama. Einige der Szenen sind so hart, dass man auch über den Abspann hinaus verstört auf den Fernseher starrt. Lolly Whitehill (Lori Petty), die mit ihren Spinnereien bislang vor allem der Komik wegen eingebaut wurde, entwickelt sich zu einer tragischen Figur weiter. Auch die Dauergäste Pennsatucky (Taryn Manning) und Sam Healy (Michael Harney) haben einige bewegende Auftritte hinter sich. Und das kommt der Serie zugute: Aus dem beengten Raum wird ein echter Mikrokosmos, der sich bei aller Skurrilität realer anfühlt, als es die meisten Serien tun.
Ganz auf die leichteren Momente wird dann aber doch nicht verzichtet, trotz der vielen ernsten Themen wie Rassismus oder der menschenverachtende, satirisch dargestellte Unternehmensumgang mit Insassen. Neuzugang Judy King (Blair Brown) beispielsweise, eine aus dem Fernsehen bekannte Starköchin, ist oft als reiner Comic Relief da. Taystee (Danielle Brooks) darf sich als Sekretärin versuchen, was oft absurde Folgen hat. Und die sich anbahnende Beziehung zwischen Brook (Kimiko Glenn) und Poussey Washington (Samira Wiley) beschert uns einige der schönsten Momente. Der kleine Lichtstrahl inmitten der Finsternis. Der leise Versuch, in dem Wahnsinn die Menschlichkeit zu bewahren. Bis das dicke Ende kommt und Staffel 4 mit einem Hammer aufwartet, der wie immer das Warten auf die nächste Staffel etwas schwieriger gestaltet. Denn auf wenn man manchmal nicht genau sagen kann, wohin die Serie eigentlich will, ob sie nicht reine Selbstbeschäftigung ist: Die Macher wissen, wie sie im entscheidenden Moment die Kurve bekommen und lassen ihr Publikum im Unklaren, wie es mit den vielen kaputten Figuren und ihren traurigen Geschichten weitergeht.
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