(OT: „Ray“, Regie: Andrey Konchalovsky, Deutschland/Russland, 2016)
Sie ist schön, gebildet, entstammt sogar dem Adel. Aber all das nützt Olga (Yuliya Vysotskaya) nichts, als sie während des Zweiten Weltkrieges dabei erwischt wird, wie sie zwei jüdische Kinder bei sich versteckt. Mildernde Umstände? Darauf hat sie bei Jules (Philippe Duquesne), der mit den Nazis kollaboriert, nur dann zu hoffen, wenn sie ihre weiblichen Reize einsetzt. Am Ende kann aber auch der korrupte Polizist nicht schützen. Stattdessen landet sie in einem Konzentrationslager, wo sie auf den SS-Offizier Helmut (Christian Clauß) wiedertrifft, der nach einer früheren Begegnung unsterblich in sie verliebt war und ihr lange den Hof machte.
Ende Juli in Deutschland, die Sonne scheint, die Menschen drängen in die Biergärten und ins Freibad. Aber als ob sie sich gemeinsam gegen die kollektive gute Laune verschwört hätten, bringen nun gleich drei Filmverleihe gleichzeitig Werke in die hiesigen Kinos, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen. Quasi als Kontrastprogramm. Christopher Nolans Bombastepos Dunkirk, der Widerstand-Dokumentarfilm Die guten Feinde und das so trügerisch klingende Paradies. Sämtliche Augen – und Ohren – werden dabei natürlich auf die spektakuläre Rettungsaktion des Inception-Regisseurs gerichtet sein. Dabei hat auch sein russischer Kollege Andrey Konchalovsky einiges zu erzählen, ebenso künstlerisch-formale Ambitionen.
Eine bewusst auf alt gemachte Inszenierung
Zwei Punkte sind es, die visuell vom ersten Moment auffallen: das altmodische 4:3-Format und die Schwarz-Weiß-Bilder. Das ist nicht sonderlich subtil, um dem Publikum zu zeigen, dass wir uns hier in einer alten Geschichte befinden. An manchen Stellen kommen noch simulierte Filmrisse hinzu, eine Technik, wie sie ja beispielsweise auch in Found-Footage-Werken gern verwendet wird, um mehr Atmosphäre zu erzeugen. Teilweise verkommen diese Tricks hier zu etwas enervierenden Gimmicks. Insgesamt ist Paradies aber tatsächlich sehr schön anzusehen: Der Film verzichtet trotz des Kriegsszenarios auf allzu viel Action, das ruhige Drama gleicht oft mehr einer Gemäldesammlung. Obwohl die Umstände so grauenvoll ist, entlockt Konchalovsky seinen Szenen oft eine geradezu unwirkliche Schönheit.
Inhaltlich versucht Paradies ebenfalls, ganz eigene Wege zu gehen. Schon früh wird deutlich, wie die chronologisch erzählte Haupthandlung immer wieder von Gesprächssituationen unterbrochen wird, die mal wie ein Interview, dann wie ein Verhör wirken. Die anfängliche, sehr naheliegende Vermutung, was dahinter steckt, wird jedoch relativ bald infrage gestellt, wenn nicht gar widerlegt. Erst sehr spät verrät uns Konchalovsky, was er genau mit diesen Szenen meinte. Einen wirklichen Gefallen hat er sich damit aber nicht getan: Die Auflösung wird mangelhaft vorbereitet, bringt dem Film nicht wirklich etwas, hat zudem sehr unangenehme nationalistische Zwischentöne. Der Film mag eine russisch-deutsche Coproduktion sein, wechselt zwischendrin auch sehr schön zwischen verschiedenen Sprachen hin und her. Umso befremdlicher daher, wie Paradies auch bei der Figurenzeichnung auf Schwarz-Weiß setzt.
Nachdenklich, aber doch sehr einseitig
Während die russische Olga von Grund auf ein guter Mensch ist, der sich selbst in der Fremde für jeden opfert, ist der Franzose ein reiner Opportunist. Die deutschen Figuren sind entweder realitätsfremde Träumer wie Helmut, widerliche Ausbeuter wie Krause (Peter Kurth) oder wie Dietrich Vogel (Jakob Diehl) seelische Wracks nahe der Lächerlichkeit. Hinzu kommt, dass gerade Helmut kaum ein richtiges Profil bekommt, sich nie wirklich entscheiden kann, wofür er steht – was zu einem sehr willkürlichen Verhalten führt. Interessanter wird es, wenn sich Paradies von den konkreten Personen entfernt und sich ganz allgemeine Fragen über Gut und Böse stellt. Wie verhalte ich mich in einer Ausnahmesituation wie der des Zweiten Weltkrieges bzw. des Dritten Reiches? Was bin ich bereit zu opfern, um mich oder andere zu retten? Kann ein Unrecht ein anderes rechtfertigen? Und können wir jemals das Paradies erreichen, ohne vorher die Hölle erlebt zu haben? Stoff zum Nachdenken gibt einem der Film also mit auf den Weg, das Kriegsdrama ist eine unbequeme, eigenwillige, teils verstörende Auseinandersetzung mit menschlichen Abgründen, die einen auch im Anschluss noch eine ganze Weile begleiten wird.
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