(OT: „Tokyo Ghoul“, Regie: Kentarō Hagiwara, 2017)
Es war ein Date, das Ken Kaneki (Masataka Kubota) sein Leben lang nicht vergessen wird. Erst fühlte er sich im siebten Himmel, als sein großer Schwarm Liz sich tatsächlich mit ihm treffen will. Und dann verwandelte sich dieser in eine absolute Hölle: Liz ist in Wahrheit ein Ghoul, der Ken lediglich fressen will. Als beide in einen schrecklichen Unfall verwickelt werden, der Liz auch das Leben raubt, werden ihm ihre Organe eingepflanzt – mit der Folge, dass Ken nun ein Halb-Ghoul ist und selbst Menschenfleisch essen muss zum Überleben. Womit er so gar nicht klar kommt. Zu seinem Glück trifft er aber schon bald auf die Ghoule Tōka Kirishima (Fumika Shimizu) und Yoshimura (Kunio Murai), die ihn bei sich aufnehmen. Sehr viel leichter wird die Geschichte dadurch aber nicht. Während er mit seiner neuen Identität hadert, machen die Spezialermittler Kōtarō Amon (Nobuyuki Suzuki) und Kureo Mado (Yo Oizumi) Jagd auf jeden Ghoul.
Als 2011 der erste Band von Sui Ishidas Manga „Tokyo Ghoul“ erschien, hätte wohl keiner erwartet, welch gigantischer Erfolg dieser sein würde. 24 Millionen Mal verkaufte sich die Reihe und die Fortsetzung „Tokyo Ghoul:re“ bislang. Ausflüge in andere Medien ließen da nicht lange auf sich warten: Anime (Tokyo Ghoul, Tokyo Ghoul √A), Videospiel, Light Novel, ja sogar ein Theaterstück. Nun also auch ein Realfilm. Der war auf der einen Seite naheliegend, schließlich eröffnen sich damit weitere Einnahmequellen. Ein bisschen misstrauisch durfte man aber trotzdem sein. Schon der Anime stand unter heftiger Kritik, weil er die umfangreiche Geschichte um den zwiegespaltenen Ken in nur zwölf Folgen nacherzählen wollte – und damit scheiterte. Was soll dann erst bei einem Film passieren, der noch mal um die Hälfte kürzer ist?
Vorsprung durch Fokus
Das Ergebnis kann sich aber mehr als sehen lassen. Kurioserweise ist es sogar die im Vergleich zum Original kurze Laufzeit von nicht einmal zwei Stunden, die dem Film zugutekommt. Fans der Vorlage werden sich natürlich darauf einstellen müssen, dass vieles verkürzt oder gleich ganz gestrichen wurde. Kens bester Freund Hide verschwindet beispielsweise nach dem Einstieg praktisch völlig von der Bildschwäche, ebenso Kens Rivale Nishiki Nishio. Klein ist das Personal von Tokyo Ghoul damit trotzdem nicht, es beschränkt sich jedoch weitestgehend auf die Ghoule des Cafés und die Gegenspieler aus der Anti-Ghoul-Einheit. Und nicht einmal über die verliert der bislang unbekannte Regisseur Kentarō Hagiwara ein Wort zu viel. Wer sie sind, wo sie herkommen, was sie antreibt – der Zuschauer erfährt nichts darüber.
Dafür konzentriert sich die Adaption auf den Protagonisten. Und das ist eine gute Entscheidung. Auch wenn das Drumherum natürlich dem Horrorgenre entnommen ist, ständig Menschen und Ghoule dran glauben müssen, im Kern ist Tokyo Ghoul ein Drama. Kein Mensch mehr, aber auch kein richtiger Ghoul wandert Ken hilflos zwischen den beiden Welten hin und her. Das ist vergleichbar zu anderen Horrordramen, gerade aus dem Vampirbereich (Byzantium, Midnight Son – Brut der Nacht), wo ebenfalls Monster mit ihrem Dasein hadern. Ein Coming of Age des Schreckens. Das thematisierte der Anime natürlich auch. Die Realvariante hat jedoch den Vorteil, dass Ken einem hier nicht so penetrant auf die Nerven geht und dass die Geschichte nicht ständig woanders hinwandert. Das macht diese Adaption zu der in sich stimmigeren Fassung, zumal Masataka Kubota hier einen guten Job macht: Seine anfängliche Nervosität beim Date ist zwar ein bisschen arg dick aufgetragen, die allmähliche Verwandlung im Laufe des Films ist dafür gelungen.
Blutige, manchmal unfreiwillig komische Action
Trotz aller Nachdenklichkeit: Auf Horror muss nicht verzichtet werden, ebenso wenig auf Action. Immer wieder zeigen Ghoule und Ermittler, wie tödlich ernst ihnen das ist. Kenner der Vorlage wissen auch schon, was sie hier erwartet: blutige Kämpfe, ausgetragen mit einer Reihe äußerst kurioser Waffen. Das Ergebnis an der Stelle ein wenig gemischt. Gerade weil einiges schon im Manga etwas abstrus ausschaut, ist die Umwandlung in Realbilder schwierig. Wie bei Assassination Classroom kürzlich ist das Ergebnis nicht so homogen wie in der Vorlage oder in der Animevariante, ist komischer, als es eigentlich sein sollte. Dafür fallen bei Tokyo Ghoul die Probleme der sparsamen Animationen und bescheidenen Hintergründe weg, welche die Serienvariante mitunter plagten. Und das kommt den Kampfszenen durchaus zugute. Fans der Vorlage sollten sich aber eh nicht davon abhalten lassen, auch dieser Interpretation eine Chance zu geben. Bis diese regulär den Weg nach Deutschland findet, wird es noch eine Weile dauern. Berliner dürfen sich aber freuen, dass der Film am 7. Juli 2017 Europapremiere in der Hauptstadt feiert – drei Wochen vor dem offiziellen Kinostart in Japan.
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