Als Paul über das Meer kam
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Als Paul über das Meer kam

(OT: „Als Paul über das Meer kam“, Regie: Jakob Preuss, Deutschland, 2017)

Als Paul ueber das Meer kam
„Als Paul über das Meer kam“ läuft ab 31. August 2017 im Kino

Auch wenn das Thema der Flüchtlingsproblematik in den Medien zuletzt spürbar an Popularität verloren hat, man sich lieber anderen Sorgenfeldern zuwendet – außenpolitische vornehmlich –, relevant ist es nach wie vor. Und auch ein filmisch dankbares: Vom Dokumentarfilm (Café Waldluft) über Dramen (Babai), die Komödie (Willkommen bei den Hartmanns) bis zu Actionfilmen (Immigration Game), der Genrevielfalt sind keine Grenzen gesetzt. Der Berliner Jakob Preuss wählte ebenfalls den dokumentarischen Zugang, um einem Thema gerecht zu werden, dem man in seiner Komplexität und Tragik kaum gerecht werden kann.

Aber das versucht der Filmemacher auch gar nicht. Anstatt das große Ganze in allen Details behandeln zu wollen, zeigt er exemplarisch an einem Individuum, was es eigentlich heißt, als Flüchtling unterwegs zu sein. Geplant war das nicht, zumindest nicht so ganz. Als Jakob dem aus Kamerun stammenden Paul das erste Mal begegnet, war das in einem Camp in Marokko, wo er wie viele andere auf eine Überfahrt nach Europa wartet. Das Ticket zum Glück. Die Unterkünfte sind schäbig, sofern man sie überhaupt als solche bezeichnen kann. VIP-Gäste, etwa Besucher aus Europa, schlafen in einem Zelt. Dem Rest bleibt nur der Erdboden.

Etappen einer langen Reise
Aber auch inmitten dieser erschreckenden Tristesse: Hoffnung. Hoffnung auf ein besseres Leben. Und Humor. Paul lacht viel und breit, ist aufgrund seines Gottvertrauens überzeugt davon, dass alles gut werden wird. Dieses Vertrauen wird ihm auch später folgen, aufs Meer, nach Spanien, nach Frankreich, nach Deutschland – Stationen einer langen Odyssee. Jakob ist dabei, fast immer, wird ihm später wiederbegegnen, erzählt anhand seines Protagonisten eines einzelnen Schicksals das vieler Leidgenossen. Wo andere Flüchtlingsdokus sich einzelne Etappen herauspicken – Seefeuer spricht über die Ankunft, Deportation Class über die Abschiebung –, entscheidet sich Als Paul über das Meer kam für die gesamte Geschichte.

Die erstreckt sich dementsprechend über einen langen Zeitraum: Aus Tagen werden Wochen, Monate, zum Schluss werden Jahre vergangen sein. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Zeit zwischen Aufbruch und dem Asylantrag. Zu erzählen gibt es da mehr als genug, zu zeigen auch. Wenn Paul über Schnee staunt, mit Franzosen schäkert – die gemeinsame Sprache verbindet – und davon träumt, eine eigene Familie zu gründen, dann gewinnt Als Paul über das Meer kam eine ungemein menschliche Qualität. Er ist eben nicht nur eine Nummer oder ein Bild aus einer gleich vergessenen Newsmeldung. Er ist über 30, hat gelebt, gelitten, gelacht. Ein Mensch.

An Paul führt kein Weg vorbei
Seine starke Persönlichkeit macht das an und für sich bestens bekannte, sehr allgemeine Thema dann doch eben zu einem Greifbaren. Dass Paul dabei ein Sympathieträger ist, charmant und reflektiert, spielt Jakob natürlich in die Hände. Die Leidgenossen des Flüchtlings machen ganz ähnliche Erfahrungen, sind aber weniger präsent. Sie sind leichter auszublenden, um zum eigenen Alltag zurückzukehren. Jakob fällt dies sichtlich schwer: Paul, der anfangs eben nur ein Objekt in seinem Film war, wird ihm mit der Zeit vertraut, gar zu einem Freund. Und das ist der zweite große Grund, sich Als Paul über das Meer kam einmal anzuschauen: Die Doku stellt infrage, was eine Doku ist und sein darf. Distanziert und nüchtern über ein Thema reden, sich selbst dabei ganz rausnehmen – so ist die Erwartung meist.

Doch das funktioniert hier nicht. Nicht bei Paul. Der will nicht einfach nur Thema sein, Jakob solle ihm beim Asyl auch helfen. Und so verschwimmen die Grenzen zunehmend, zwischen beobachten und handeln, zwischen vor und hinter der Kamera. Jakob beginnt, Geschichte wie Protagonist zu kommentieren, auch zu kritisieren. Er begleitet Paul zu den Ämtern, wird selbst Teil einer Odyssee, aus der er kaum wieder herauskommt. Und wenn er sich doch wieder auf seinen Regiestuhl zurückzieht, sehen will, wie es mit einem Flüchtling weitergeht, dem kein Filmemacher unter die Arme greift, dann ist das leichter gesagt denn getan. Vor allem, als der Weg zum Glück an einem einzigen Euro zu scheitern droht. Und so lehrt uns Als Paul über das Meer kam, vielleicht doch wieder genauer hinzusehen, anzuhalten, das Gesicht am Rande als eines wahrzunehmen. Zu erkennen, dass Geschichten auch dann wichtig und hörenswert sind, wenn wir längst nicht mehr zuhören wollen.



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„Als Paul über das Meer kam“ erzählt exemplarisch anhand eines Flüchtlings die gesamte Odyssee vom gefährlichen Aufbruch bis zum bürokratischen Monster Asylantrag. Der Dokumentarfilm profitiert dabei enorm von dem Charme seines Protagonisten, erinnert nicht nur an ein wichtiges Thema, sondern stellt auch das Prinzip eines Dokumentarfilms in Frage.