Einsteins Nichten
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Einsteins Nichten

(OT: „Einsteins Nichten“, Regie: Friedemann Fromm, Deutschland, 2017)

Einsteins Nichten
„Einsteins Nichten“ läuft seit 24. August 2017 im Kino

Es ist das Schicksal der meisten Angehörigen berühmter Leute, dass sie im Schatten Letzterer stehen. Schlimmer noch: dass man sie auf eben dieses Verwandtschaftsverhältnis reduziert. Siehe Einsteins Nichten. Nicht mit dem beiden Protagonistinnen wird geworben, nicht mit deren eigenen Erlebnissen. Sondern damit, dass Albert ihr Onkel war. Ein Onkel, den sie nicht einmal besonders gut kannten, da er in die USA emigrierte, als Lorenza und Paola kaum alt genug waren, um eigene Erinnerungen aufzubauen. Dabei haben die zwei auch ohne große Namen einiges zu erzählen. Tragisches vor allem, denn von Anfang an stand ihr Leben unter keinem guten Stern.

Eines der beiden Zwillingsmädchen wurde vor der Geburt für einen Tumor gehalten, ihre Mutter starb bei der Geburt. Schon früh fand der Tod daher Einzug in das Leben der beiden. Sie habe sich von Anfang an vom Tod verfolgt gefühlt, sagt eine von ihnen vor der Kamera. Der Vater kam mit dem Verlust seiner Frau nicht zurecht, die Mädchen wuchsen bei einem Onkel auf – einem anderen Einstein. Dann kam der Krieg und mit ihm die Angst, dass die Familie mit dem jüdischen Namen den Nazis in die Hände fallen könnte. Und schließlich, kurz bevor alles vorbei war, die große Tragödie.

Auf den Spuren einer traurigen Vergangenheit
Dass die Verwandten der zwei eines gewaltsamen Todes durch die Deutschen starben, das verrät Friedemann Fromm relativ früh. Gemeinsam mit den betagten Damen – die Zwillinge gehen auf die 90 zu – kehrt er an den Ort ihrer Jugend zurück. Die erste Station: ein Friedhof. Es ist einer der bewegendsten Momente in Einsteins Nichten. Nicht nur, weil Paola von ihren Gefühlen überwältigt wird und weinend auf einem Grabstein kauert. Sondern weil sie eben das vorher befürchteten. Viele Jahrzehnte sind sie nicht mehr hier gewesen, ringen mit sich vor dem großen Tor, ob sie überhaupt hindurchtreten sollen. Das Tor zu den Gräbern. Das Tor zu ihren Erinnerungen.

Dabei finden sich dort auch viele schöne Bilder. Wenn Lorenza und Paola durch das Familienanwesen streifen, alte Zeichnungen wiederentdecken, auf der Terrasse zusehen, wie die Bäume sich langsam im Wind wiegen, durchflutet von Sonnenstrahlen – wer würde hier denken, dass mehr als 70 Jahre zuvor die Kindheit ein jähes Ende fand? Auch Fromm war bewusst, dass beides nicht zusammenpasst: die malerische Kulisse, die blutige Vergangenheit. Und so nutzte er dann nachgestellte Szenen sowie eine besonders dramatische Musik, um den Erinnerungen ihre Dunkelheit zurückzugeben.

Zu viel des Guten
Verständlich ist das, gelungen jedoch weniger. Es ist nämlich vielmehr die Natürlichkeit, die Einsteins Nichten auszeichnet. Zwei alte Damen, körperlich wie geistig erstaunlich rüstig, dazu mit jeder Menge Charme, Wärme und Witz ausgestattet. Die langsame Annäherung an das, was war, die kleinen Anekdoten – mit ihnen unterwegs zu sein, das ist wie das Aufschlagen eines Familienalbums. Nur dass Fromm sich kaum für die zwei als Menschen interessiert. Stattdessen versucht er, das tragische Ereignis ganz groß zu machen, zögert das Finale hinaus, obwohl der Punkt längst erreicht wäre. Übertreibt es so mit der Zeit.

Und auch die ständigen Bezüge zu Albert Einstein sind sehr bemüht: Immer wieder werden Zitate des Genies eingeblendet, die zwar durchaus zum Geschehen passen, den Nichten aber nicht gerecht werden. Sie dann doch eben wieder auf einen Namen reduzieren, den sie nicht einmal tragen. Aber vermutlich hätte sich sonst auch niemand für ihre Geschichte interessiert. Eine Geschichte, die schrecklich war, von viel Leid geprägt. Aber eben nur eine Geschichte von vielen: Mehr als 16.000 Italiener wurden zwischen 1943 und 1945 von den Deutschen ermordet. Das war nicht normal damals, sagt Lorenza zu Beginn des Films. Was stimmt und nicht stimmt. Was den beiden und damit auch Einsteins Nichten gelingt: Sie erinnern an die damaligen Massaker, die so üblich waren und es dabei nie hätten sein dürfen. Am Ende stehen sie so stellvertretend nicht für ein individuelles Schicksal, sondern für ein dunkles Kapitel, an das niemand denken mag und das deswegen umso wichtiger ist.



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„Einsteins Nichten“ erzählt, wie sich zwei betagte Schwestern an den Ort ihrer Kindheit begeben und sich dem Grauen der Vergangenheit stellen. Das ist gerade aufgrund der beiden Damen und ihrer Natürlichkeit wegen bewegend. Leider verlässt sich der Dokumentarfilm nicht darauf und versucht unnötig, die Geschichte noch weiter aufzubauschen.