(OT: „Haarig“, Regie: Anka Schmid, Schweiz, 2017)
Wir alle haben sie, der eine mehr, die andere weniger. Wir haben sie in den unterschiedlichsten Formen und Farben, selbst Konsistenzen. Und wir haben sie an den unterschiedlichsten Orten – oft zu unserem Leidwesen. Das menschliche Leben ist allein deshalb schon eng verbunden mit Haaren, die uns von klein auf wachsen, später weniger werden und viel zu häufig ihren eigenen Kopf zu haben scheinen. Während sie Wild Women – Gentle Beasts gedreht hat, ein Dokumentarfilm über Dompteurinnen, soll Anka Schmid die Idee gekommen sein, sich diesem haarigen Thema zuzuwenden. Was sie hier dann auch tat, auf eine etwas überraschende Art und Weise.
Da wäre zum einen das Stilmittel der Animation. Immer mal wieder greift sie darauf zurück, weshalb Haarig seine Weltpremiere auch auf dem Schweizer Animationsfestival Fantoche feiert. Die Kombination aus informativem Anspruch zu einem Körperthema und Animation, da dürfte der eine oder andere an den Klassiker Es war einmal … das Leben denken. Wirklich vergleichbar sind die beiden aber nicht. Zum einen greift Schmid nicht auf Zeichentrick, sondern auf das Stop-Motion-Verfahren zurück, um menschliche Haare zu mitunter komischen Formen zu animieren. Und sie tut es eher selten, während nachgestellte Szenen oder auch historische Aufnahmen den Löwenanteil ausmachen.
Es ist aber auch der Inhalt, welche die beiden Werke unterscheidet. Der biologische Aspekt spielt in Haarig eine erstaunlich geringe Rolle. Genauer interessiert sich die Schweizer Filmemacherin gar nicht so sehr, wie und weshalb Haare eigentlich entstehen. Stattdessen richtet sie ihr Augenmerk darauf, was Menschen daraus machen. Wie sehen unsere Frisuren aus? Wie gehen wir mit Körperbehaarung um, ein heutzutage eher unerwünschter Aspekt der menschlichen Entwicklung?
Ich bin, was ich aus meinen Haaren mache
Haarig lässt dabei den Blick streifen durch die Geschichte, erinnert uns daran, dass Haare doch immer mehr waren als Haare. Ob Frau kurz oder lang trägt, das ist nicht einfach eine Laune der Natur. Immer spielen dabei gesellschaftliche Normen und Entwicklungen hinein. Ist ein Statement über uns und die Welt. Auch die Wahl der Farbe – heute ist keiner mehr gezwungen, bei der Grundausstattung zu bleiben – hat Einfluss darauf, wie wir von unserem Umfeld wahrgenommen werden. Bei Männern gilt das genauso. Ein Schnauzbart wie Adolf Hitler ihn damals trug, das ist heute unvorstellbar; es sei denn, er wird als Statement getragen, satirisch oder anklagend.
Während Schmid so durch die Jahrzehnte streift, von Moden und Zeitgeistern berichtet, von dem Musical „Hair“ oder auch berühmten Barträgern, trifft sie aber auch immer wieder sich selbst. Mit ihrer Geburt beginnt der Film, immer wieder mischen sich historische mit biografischen Themen, werden Kriegsproteste mit familiären Anekdoten verknüpft. Das ist teils informativ, teils recht witzig, Haarig hüpft zwischen verschiedenen Darstellungsformen, Stimmungen und Ansprüchen herum. Unterhaltsam ist diese nicht einmal eine Stunde dauernde Nabelschau aber so oder so, egal welchen verschlungenen Pfaden sie gerade folgt. Auch wenn man am Ende nur zum Teil schlauer ist, was es eigentlich mit diesem Kopfschmuck so auf sich hat und die kurze Laufzeit tiefere Einblicke verhindert, so wird man beim morgendlichen Blick in den Spiegel vielleicht doch die eine oder andere Nuance neu entdecken und unser zivilisatorisch-natürliches Erbe mit etwas anderen Augen sehen als bisher.
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