Parasol
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Parasol – Mallorca im Schatten

(OT: „Parasol“, Regie: Valéry Rosier, Belgien, 2017)

Parasol
„Parasol – Mallorca im Schatten“ läuft ab 24. August 2017 im Kino

An Kaffeekränzchen teilnehmen? Mit den anderen Senioren in Bussen durch die Gegend gurken? Nein, darauf hat Annie (Julienne Goeffers) nur wenig Lust. Sie ist aus einem anderen Grund nach Mallorca gefahren: Die 73-Jährige möchte endlich André treffen, mit dem sie schon seit einiger Zeit so lustvoll chattet. Pere (Pere Yosko) wiederum hat gar nicht vor, eine neue Liebe kennenzulernen. Er ist schon schwer genug damit beschäftigt, die Reste seiner alten zu bewahren. Vor allem seine kleine Tochter ist ihm sehr wichtig, für sie würde er so einiges tun – auch die getrennt lebende Mutter anlügen, um so den Geburtstag mit ihr verbringen zu können. Von Familie hat Alfie (Alfie Thomson) längst genug. Und so nutzt er die erstbeste Gelegenheit, seine Eltern am Campingplatz zurückzulassen und allein auf der Partymeile sein Glück zu suchen.

Mallorca, das ist so eine Urlaubsdestination, die für zwei komplett unterschiedliche Seiten bekannt ist. Die eine bezirzt dank ihrer wunderschönen Natur, die sie gerade für Wanderer so reizvoll macht. Die anderen fahren auf die Insel, um sich hemmungslos zu betrinken und in Clubs mal so richtig die Sau rauszulassen – Augen zu und durch, nach mir die Alkoholflut. Wenn ein Film als Mallorca-Komödie bezeichnet wird, dann lässt das auch gleich Übles ahnen. So was wie Pura Vida Ibiza zum Beispiel: spätpubertäre Jungs, die auf der Suche nach schnellem Geld und schnellem Sex keine Scham kennen.

Vom Unglück, das Glück zu suchen
Parasol hat damit jedoch nur wenig am Hut. Mallorca im Schatten lautet der deutsche Untertitel der belgischen Komödie. Und tatsächlich: Schatten gibt es hier ohne Ende, im übertragenen Sinne zumindest. Ob es der unerwünschte Pere ist, der als Fahrer einer Touristenbimmelbahn einen der demütigendsten Jobs der Insel ausübt. Alfie, der sich völlig wehrlos von seinen zwei Landsleuten ausnutzen lässt, während sie gemeinsam auf Sauftour gehen. Oder Annie, die sich ebenfalls viel zu viel gefallen lässt von diesem Mann, den sie so gar nicht kennt – immer in der Hoffnung auf ein bisschen Glück.

Tatsächlich ist es das, was das Trio eint: Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, sind an verschiedenen Punkten in ihrem Leben. Doch sie alle sind voller Sehnsucht. Sehnsucht nach Anerkennung. Liebe. Selbstbestimmung. Ein besseres Leben. Das soll nicht bedeuten, dass Regisseur und Drehbuchautor Valéry Rosier sein Publikum nicht auch zum Lachen bringen will. Immer mal wieder finden sich unglaublich komische Situationen, etwa wenn Pere mit seiner Bahn durch die Gegend fährt und die angeblichen Sehenswürdigkeiten anpreist. Aber es schwingt immer diese Melancholie mit. Eine leise Trauer darüber, dass das Leben so gar nicht funktioniert, wie es soll.

Tragikomik nahe am Leben
Der Vergleich zu Ulrich Seidl (Paradies: Hoffnung) drängt sich hier geradezu auf. So wie sein österreichischer Kollege bewegt sich Rosier an der Grenze zwischen Fakt und Fiktion. Viele Szenen sind so nah am Leben, sind auch so naturalistisch umgesetzt, dass man nicht immer genau sagen kann, ob Parasol nicht doch eine Mallorca-Dokumentation ist. Aber es ist eben keine, die Werbung für die Insel macht – trotz der schönen, kunstvollen Aufnahmen. Es ist aber auch keine Abrechnung mit dem Tourismus, wie es Seidl seinerzeit vollzog. Vielmehr stehen die drei stellvertretend für all die Verlierer dieser Welt. Menschen, die es aus dem einen oder anderen Grund nicht schaffen.

Peinlich sind die Situationen, die Rosier seinen Protagonisten zumutet. Bitter manchmal. An der einen oder anderen Stelle sogar richtig schmerzhaft. Und doch ist der Filmemacher kein Sadist. Es geht ihm nicht darum, sich in den drei voneinander unabhängigen Handlungssträngen über die Unglückseligen lustig zu machen. Mit viel Sympathie und Einfühlungsvermögen begegnet er ihnen. Und auch als Zuschauer fällt es nicht schwer, sich selbst in ihnen wiederzufinden – obwohl sie keine klassischen Sympathieträger sind. Sympathisch ist aber auf alle Fälle, wie Parasol aus den traurigen Momenten solche der Stärke macht. Annie, Pere und Alfie sind keine Gewinnertypen, versuchen aber doch, das Beste aus der Situation zu holen. Und wenn sie wieder Erwarten doch kleine Erfolge haben, Momente der Größe erfahren, dann kann einem inmitten der vielen Schatten richtig warm ums Herz werden.



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„Parasol“ zeigt in unabhängigen Handlungssträngen drei Verlierer, die in Mallorca ihr Glück suchen. Das mutet oft sehr dokumentarisch an, vereint absurd-komische mit schmerzhaft-traurigen Momenten zu einem wunderbaren, sehr warmherzigen Film. Das ist nicht schön, gleichzeitig aber doch, kunstvoll und nah am Leben zugleich.
8
von 10