(OT: „The Living and the Dead“, Regie: Alice Troughton/Sam Donovan, UK, 2016)
Eigentlich bringt Nathan Appleby (Colin Morgan) ja so schnell nichts aus der Ruhe. Er ist ein erfahrener Psychologe, bestens ausgebildet und dabei gewohnt, jedes Problem rational anzugehen. Als er mit seiner Frau (Charlotte Spencer) ein altes Familiengrundstück auf dem Land bezieht, stößt aber auch er an seine Grenzen. Ein Mädchen beginnt, sich sehr eigenartig zu verhalten. Ein Fall von Besessenheit, so sagen die anderen. Für Nathan muss es hier jedoch eine ganz andere Erklärung geben und er tut alles in seiner Macht, um der Jugendlichen zu helfen. Und das ist nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe seltsamer Ereignisse, für die es keine irdische Erklärung zu geben scheint.
Im Kino hat Grusel seit einiger Zeit ja wieder Hochkonjunktur: Get Out und Split waren zwei der profitabelsten Filme von 2017, dank Annabelle 2 stieg das Cinematic Universe rund um Conjuring – Die Heimsuchung unlängst zur zweiterfolgreichsten Horrorreihe aller Zeiten auf. Im Fernsehen ist von dem Boom seltsamerweise aber relativ wenig zu spüren. Sicher, es gibt die unverwüstlichen Untoten von The Walking Dead, die American Horror Story hat auch schon sechs Staffeln auf dem Buckel. Im Vergleich zur großen Leinwand oder Videothek sind die TV-Auftritte von Geistern aber recht selten geworden.
Zurück zu den Ursprüngen
Mit The Living and the Dead kommt nun aber doch mal wieder Nachschub. Aus England sogar, dem wir viele der klassischen Schauermärchen zu verdanken haben. An diesen orientierten sich Ashley Pharoah (Cucumber) und Matthew Graham dann auch, die beiden Kreativköpfe hinter der Serie. Da sie zudem die BBC als Austragungsort und Produktionsfirma gewinnen konnten, quasi die Meister aufwendig produzierter Historienschinken, steht einem gepflegt unheimlichen Ausflug in das ländliche England des späten 19. Jahrhunderts auch nichts im Wege.
Visuell ist an The Living and the Dead nicht wirklich etwas auszusetzen: Es gibt abgelegene Landschaften mit viel Natur, alte Gemäuer voller Winkel und Geheimnisse, schöne Kostüme und noch schönere Darsteller. Selbst wenn es darum geht, hier im Dreck zu wühlen und Landwirtschaft zu betreiben, macht sich niemand wirklich die Hände schmutzig – die englische Serie ist durch und durch elegant. Das ist jedoch wie zu erwarten nicht mit eitel Sonnenschein gleichzusetzen. Stattdessen hat fast jeder Mensch, der hier mal durchs Bild läuft, tragische bis traumatische Erfahrungen gesammelt, die geradezu dazu prädestinieren, die Geister von einst zu beschwören.
Alte Tricks, kompetent umgesetzt
Aber gibt es diese wirklich? Pharaoh und Graham lassen es genretypisch länger offen, ob da nun wirklich übernatürliche Wesen im Spiel sind. Auch der Kontrast zwischen einem sehr rational arbeitenden Menschen und unerklärlichen Ereignissen gehört zum Inventar solcher Gruselgeschichten. Wirklich einfallsreich ist das weniger, war aber auch gar nicht so geplant. Gut anzusehen ist das Ergebnis trotzdem. Jede der sechs Folgen widmet sich dabei einer neuen Erscheinung, gleichzeitig gibt es – wie es der aktuelle Serienzeitgeist verlangt – eine durchgängige Handlung, die sich Nathans Beobachtungen befassen.
Die ist auch tatsächlich interessant, da immer wieder Elemente auftauchen, die nicht ins das viktorianische Leben hineinpassen. Woher diese kommen, in welcher Verbindung sie zu Nathan stehen, das wird erst zum Schluss verraten. Der macht Lust auf mehr, besonders da es einen richtig fiesen Cliffhanger gibt. Eine zweite Staffel ist bislang jedoch leider nicht in Sicht. Aber selbst mit diesem Manko sollten Genreanhänger einen Blick auf diese schön mysteriöse Serie riskieren, die neben den eigentlichen Geistern manchmal auch den verstörenden Aberglauben der ländlichen Bevölkerung thematisiert.
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