White Sun

White Sun

(OT: „Seto surya“, Regie: Deepak Rauniyar, Katar/Nepal/Niederlande/USA, 2016)

White SunLange war Chandra (Dayahang Rai) nicht mehr in seinem Dorf gewesen, zehn Jahre, hatte es vorgezogen, zusammen mit den maoistischen Truppen für ein neues, moderneres Nepal zu kämpfen. Doch als sein Vater stirbt, kehrt er gemeinsam mit dem Waisenkind Badri (Amrit Pariyar) zurück, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. In Frieden ruhen? Das bleibt ein frommer Wunsch, denn nicht alle sind glücklich darüber, dass der verlorene Sohn wieder da ist. Sein Bruder Suraj (Rabindra Singh Baniya) hegt beispielsweise noch immer einen Groll, auch seine Ex-Frau Durga (Asha Maya Magrati) begegnet ihm mit gemischten Gefühlen. Und dann wäre da ja auch noch Pooja (Sumi Malla), die Tochter von Durga, die fest davon überzeugt ist, dass Chandra ihr Vater ist.

Und schon wieder ein Todesfall, der dazu führt, dass Menschen wieder zusammenkommen, die sich ewig nicht gesehen haben. Ob in den USA (Manchester by the Sea), in Deutschland (Nirgendwo) oder in Frankreich (Der Wein und der Wind), tragische Familienzusammenführungen hatten zuletzt Hochkonjunktur. Warum sollte das Szenario nicht auch in Nepal zur Anwendung kommen? Sicher, ein klein wenig enttäuschend ist es im Vorfeld schon, dass ein uns doch so fremdes Land im Grunde auch keine eigenen Geschichten auf Lager hat. Doch sobald White Sun erst einmal angefangen hat, gehören die Vorbehalte bald der Vergangenheit an, dafür ist das Drama zu vollgestopft mit interessanten, teils sehr intensiven Momenten.

Exotik und Komik
Da wäre zum einen das reizvolle Drumherum. Wenn wir mit Chandra in der abgelegenen, bergigen Landschaft Nepals herumlaufen, dann fühlen wir uns wie Entdecker eines unbekannten Landes. Dann ist es fast auch schon egal, was die Leute da so genau tun. Leichen herumschleppen zum Beispiel. Denn genau damit beginnt White Sun: Gemäß der Traditionen dürfen Verstorbene nicht durch die Eingangstür befördert werden, stattdessen heißt es ab durchs Fenster. Das jedoch funktioniert nicht, da die Leiche nicht durchs Fenster passt. Nur mit vereinten Kräften und viel Gefluche schaffen es die Bewohner doch noch, den eingehüllten Vater nach draußen zu bringen.

Die Szene sowie einige weitere, die sich mit dem Transport des Körpers befassen, sind natürlich nicht ohne Humor. Insgesamt überwiegen aber die düsteren, ruhigen Töne in White Sun. Manches davon betrifft eine persönliche Ebene, die wie das Szenario auch sehr universeller Natur ist. Es ist mal wieder der Konflikt zwischen den Alten und den Jungen, der hier im Mittelpunkt steht, zwischen Tradition und Moderne. Regisseur und Co-Autor Deepak Rauniyar vermeidet es dabei aber – dem leicht spöttischen Fensterfiasko zum Trotz – sich einseitig zu den Erneuerern zu bekennen. Der strahlende Held ist Chandra nicht, auch wenn er für seine Ideale einst alles zurückgelassen hat. Und seine Sinnesbrüder sind es noch weniger.

Die Tragik der Tradition
Zudem begegnet Rauniyar den Dorfbewohnern mit viel Verständnis und Sympathie. Nahezu alle jungen Menschen haben den Ort verlassen, die Alten sind zurückgelassen worden. Keiner interessiert sich für sie, keiner will ihnen helfen. Die Traditionen, an denen sie so festhalten, sie sind Teil ihrer Identität. Diese aufzugeben, so altmodisch und kurios sie auch erscheinen, es würde bedeuten, das wenige noch herzugeben, was ihnen geblieben ist.

Verknüpft werden diese allgemeineren Themen mit einigen speziell aus Nepal. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen, die Glaubenskriege, sie haben zwar nie ganz das Dorf erreicht, sind aber doch an vielen Orten zu spüren. An der Art und Weise, wie die Menschen miteinander umgehen. An dem Misstrauen, das sie sich entgegenbringen. Und in einer Szene mit Badri, die einem als Zuschauer das Herz herausreißt. Auch später werden Kinder eine wichtige Rolle spielen, sie sind nicht nur im Zentrum der härtesten, sondern auch der schönsten Momente, geben einem etwas Zuversicht mit auf den weiteren Weg. Dass es White Sun nicht regulär in die deutschen Kinos geschafft hat, ist mehr als bedauerlich. Immerhin, ein paar Sichtungsmöglichkeiten gibt es. Nachdem der Film auf dem 35. Filmfest München und beim 11. Fünf Seen Filmfestival lief, gibt es für die Nicht-Besucher dank Trigon Film sowohl eine Online- wie auch eine DVD-Variante.



(Anzeige)

„White Sun“ ist ein echter Geheimtipp aus Fernost: Das nepalesische Drama erzählt von universellen Themen wie dem Kampf zwischen Tradition und Moderne, aber auch von landesspezifischen. Das ist mal komisch, oft aber auch tragisch, zum Ende versöhnlich und wird durch wunderbare Aufnahmen aus der Berglandschaft gekrönt.
8
von 10