(OT: „Pooh’s Grand Adventure: The Search for Christopher Robin“, Regie: Karl Geurs, USA/Japan, 1997)
Alles hat einmal ein Ende, selbst der wundervolle Sommer, den Christopher Robin mit seinen Freunden Winnie Puuh, Tigger und Ferkel verbracht hat. Der Herbst ist da, und damit auch der Schulbeginn. Doch wie soll Christopher den anderen nur beibringen, dass er nun mehrere Stunden am Tag fort sein wird? Da er es nicht übers Herz bringt, ihnen die Wahrheit direkt ins Gesicht zu sagen, klebt er lieber eine Nachricht an einen Honigtopf – in der Gewissheit, dass Puuh diesen finden wird. Das tut er, wird aber trotz der Hilfe der schlauen Eule nicht ganz schlau daraus. Eines aber zumindest ist klar: Christopher muss es an einen weit entfernten, finsteren Ort verschlagen haben. Also nehmen die Einwohner des Hundertmorgenwaldes allen Mut zusammen, um gemeinsam nach ihrem verschwundenen Freund zu suchen.
Heute kann man es sich kaum mehr vorstellen, aber es gab tatsächlich eine Zeit, in der Winnie Puuh nicht automatisch Disney bedeutete. Erstmals 1926 als Buch veröffentlicht, war der knuffige Kinderheld des englischen Autoren Alan Alexander Milne vier Jahrzehnte lang eine rein gedruckte Angelegenheit. Bis eben Disney kam. Erst drehten sie mehrere Kurzfilme, die sie 1977 in Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh bündelten. In den 80ern und 90ern folgten mehrere TV-Serien. Mit Winnie Puuh auf großer Reise kam dann der erste tatsächliche Spielfilm mit einer durchgehenden Handlung.
Überraschend gelungene Direct-to-Video-Fortsetzung
Das hätte leicht eine Katastrophe werden können: Die Direct-to-Video-Produktionen, mit der Disney ab den 1990ern leidgeplagte Eltern quälte, waren oft so schlimm, dass sie einem fast die Originale im Nachhinein verdarben. Wobei die eigentlichen Verbrechen der späteren DisneyToon Studios erst noch ausstanden, mit Ausnahme von Dschafars Rückkehr waren die ersten Titel durchaus noch zu gebrauchen. Und das gilt auch für Winnie Puuh auf großer Reise, der fünfte Teil dieser Quasi-Disney-Produktionsreihe.
Klar, die Budgets dieser kleineren Filmbrüder waren geringer, teils deutlich sogar, weshalb man hier von vornherein keine Wunder erwarten durfte. Nun waren aber schon die ersten Zeichentrickfilme rund um Winnie Puuh eher simpel gehalten, ganz im Stil der Kinderbücher. Und davon profitiert auch Winnie Puuh auf großer Reise, das sich kein Bein ausreißen muss, um Kinder mit auf eine kleine Reise zu nehmen. Die süßen Spielereien des 77er Films fehlen, waren damals aber eher Nebensache. Auch inhaltlich orientierte man sich stark an der literarischen Vorlage. Was den Film unterscheidet ist der stärkere Abenteueraspekt: Wo vorher der Alltag im Vordergrund stand, müssen die Gefährten nun Gefahren überwinden. Insgesamt ist das Werk auch düsterer, als man es gemeinhin von dem Bären gewohnt ist, gerade im späteren Verlauf wird es geradezu unheimlich.
Trotz kleiner Längen sympathisch und charmant
So manches Elternteil wird das nicht ganz recht sein, dass das Mindestalter etwas angehoben wurde, um hier wirklich zuschauen zu können. Das größere Problem ist jedoch, dass das Konzept von Puuh kurze, überschaubare Episoden vorsah, keine durchgängige Geschichte. Und auch wenn diese mit rund 70 Minuten nach wie vor am unteren Ende eines Spielfilms ist, so ganz hat das mit dem Inhalt dann doch nicht geklappt. Einige Szenen sind zu lang oder wiederholen sich zu stark, zwischendrin schleppt sich der Bär recht träge durch die Gegend. Andererseits: Im Vergleich zu den oftmals hyperaktiven Animationsfilmen neueren Datums ist das oftmals melancholische, nachdenkliche Winnie Puuh auf großer Reise eine echte Wohltat. Und da am Ende eine schöne Botschaft für die lieben Kleinen herausspringt – glaub an dich! –, dies auch noch mit einer glaubwürdigen Liebeserklärung an die Freundschaft einhergeht, ist der erste richtige Spielfilm von Winnie Puuh sympathisch. Und der Charme der etwas unbeholfen-tapsigen Kinderzimmerfreunde ist ebenfalls erhalten geblieben.
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