(OT: „Boys in the Trees“, Regie: Nicholas Verso, Australien, 2017)
Es ist Halloween, die Nacht des Schreckens und der unzähligen Süßigkeiten, der ausgefallenen Verkleidungen und der Geister. Corey (Toby Wallace), Jango (Justin Holborow) und ihre Skater-Clique sind schwer damit beschäftigt, durch die Gegend zu fahren und die kleine Stadt unsicher zu machen. Unterwegs begegnet Corey jedoch Jonah (Gulliver McGrath). Der gehört nicht zu der Clique. Im Gegenteil: Immer wieder wird er drangsaliert und muss sich Spott und Demütigungen gefallen lassen. Dabei war das früher einmal anders, Corey und Jonah waren als Kinder gute Freunde gewesen. Auch um der alten Zeiten will beschließt Corey, den Jungen nach Hause zu bringen. Während sie durch die Nacht spazieren, müssen sie immer wieder an ihre gemeinsame Zeit denken: an ihre Freundschaft, ihre ehemaligen Träume. Aber auch darüber, wie sie damals auseinandergingen.
Derzeit hat die Kombination aus jugendlichem Alltag und fantasievollen, düsteren Elementen eindeutig Konjunktur. Die Stephen-King-Adaption Es bricht gerade reihenweise Rekorde. Auf dem Fantasy Filmfest gehören das Paranoia-Drama Super Dark Times und das märchenhaft-herzzerreißende Sicilian Ghost Story zu den ganz großen Titeln. Eine vergleichbare Aufmerksamkeit wird Boys in the Trees wohl nicht zuteilwerden. Dabei hat das australische Drama, welches seine Deutschlandpremiere auf dem Filmfest München feierte und inzwischen auf DVD vorliegt, ganz eigene Qualitäten.
Zwischen Realität und Fantasie
Es ist eine besondere Zeit, die sich Regisseur und Drehbuchautor Nicholas Verso da für seinen zweiten Spielfilm ausgesucht hat. Auf zweifache Weise. Das Ende der Schulzeit ist da, wenn die Kindheit langsam dem Erwachsenwerden Platz machen muss. Erinnerungen an früher werden wach, der suchende Blick in die Zukunft. Die Frage, was wir mit unserem Leben anfangen wollen. Und es ist Halloween, eine Zeit, in der Traum und Alltag zusammenfinden, die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen.
Das tun sie dann auch in Boys in the Trees, häufig sogar. Immer wieder lässt Verso offen, was von dem gezeigten gerade wirklich passiert. Wie viel ist pure Einbildung? Träume? Erinnerungen? Oder einfach nur Metaphern für das, was in Corey gerade passiert? Denn auch wenn sich der Film immer wieder ins Fantastische hinüberschleicht, so zeigt er doch vor allem einen jungen Menschen an einem Scheideweg. Identität spielt hier gleich mehrfach eine große Rolle. Corey muss sich von seinem Vater unabhängig machen, um seinem Traum eines Fotografiestudiums zu folgen. Er muss sich aber auch von seiner Clique lösen, um die Kindheit hinter sich lassen zu können.
Eine wehmütige Erinnerung an damals
Jungen wollen auch erwachsen werden, sagt er an einer Stelle. Sie wollen aber auch weiterhin auf Bäume klettern. Früher haben die beiden das oft getan. Sie werden es auch in Boys in the Trees tun, der alten Zeiten willen. Und um sich selbst zu finden. Das geht mit viel Nostalgie einher, einem wehmütigen Erinnern an eine Phase im Leben, die so viel einfacher war. Unschuldiger. Unterstützt wird diese Stimmung durch die allgegenwärtige Musik: Das Drama spielt in den späten 90ern und wählte einen entsprechenden Soundtrack dafür. Bush, Dinosaur Jr, Garbage – die sehr alternativlastigen Lieder beschwören auch musikalisch alte Geister.
Doch Boys in the Trees ist eben auch unheimlich, fast schon morbide: Die grotesken Masken und Make-ups der umherirrenden Nachtschwärmer lassen keinen Zweifel daran, dass es hier ebenso um menschliche Abgründe geht. Um die Monster, zu denen wir werden, ohne es immer genau zu merken. Dass die Jungs sich die Zeit vertreiben, indem sie Mutproben veranstalten, die mit einem verschwundenen Mädchen und dunklen Tunneln zu tun hat, ist nur eines der vielen horroraffinen Ereignisse. Und nicht zufällig gewählt. Dieser häufige Gebrauch von Symbolen ist nicht unbedingt immer subtil. Aber er ist effektiv, eindrucksvoll, manchmal sogar wunderschön anzuschauen. Und auch die beiden Jungdarsteller erledigen hier einen fabelhaften Job, wenn sie in gleichermaßen authentischen wie ungewöhnlichen Dialogen ihre Reise durch die Nacht antreten. Wer düstere Coming-of-Age-Dramen mag, die sich nicht vor den hässlichen Seiten des Lebens fürchten, sollte sich diesen kleinen Geheimtipp deshalb nicht entgehen lassen.
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