(OT: „Figaros Wölfe“, Regie: Dominik Galizia, Deutschland, 2017)
Colette (Saralisa Volm) genießt es, jeden Tag auf dem Dach eines Hochhauses zu verbringen, sich in den wärmenden Strahlen der Sonne zu baden, die Welt da draußen, die Welt da unten, außen vor zu lassen. Doch ebenso oft kommt die Welt zu ihr. Figaro (Tom Semmler), Edgar (Aciel Martinez Pol) und Hauser (Dieter Weichbrodt) schauen regelmäßig bei ihr vorbei und missbrauchen die junge Frau. Erst als auch Gilbert (Franz Rogowski) hinzustößt, der selbst in dem Haus wohnt und Gefallen an der mysteriösen Fremden gefunden hat, wird dieses Ritual durchbrochen.
Besucher des Fantasy Filmfests sind es ja gewohnt, Werke zu entdecken, die ein klein wenig von der Norm abweichen. Blutig oder abgefahren, bösartig oder einfach nur trashig – erlaubt ist alles, in einem gewissen Rahmen. Schön bei der 2017er Ausgabe ist, dass gleich drei deutsche Titel dort vertreten sind und so zeigen, dass es hierzulande auch eine spannende Filmszene gibt, jenseits der Schabloenhits. Die deutsch-kanadische Co-Produktion Replace erzählt die Geschichte einer Frau, die ihre Haut durch die anderer Frauen ersetzen will. Schneeflöckchen ist eine groteske Meta-Horror-Komödie, in der die Kunst das Leben schreibt. Und dann wäre da noch Figaros Wölfe, ein Film, der da draußen in der Realität der Kinos keine Chance hätte.
Wo bin ich? Und warum?
„Was machst du hier auf diesem Dach?“, fragt Colette, als sie von Gilbert etwas unsanft aus ihrem täglichen Sonnenbad geweckt wird. Es ist eine Frage, die man allen stellen könnte. Gilbert, Colette, den drei Männern, die da ihre Triebe ausleben. Und Dominik Galizia natürlich. Der 1988 geborene Regisseur und Drehbuchautor ließ sich bei seinem Langfilmdebüt mithilfe von Crowdfunding unter die Arme greifen. Zum Glück, muss man sagen, eine reguläre Finanzierung über die Förderanstalten wäre angesichts des doch sehr eigenwilligen Stils kaum förderlich gewesen.
Dabei tarnt sich Figaros Wölfe anfangs noch als Arthausvertreter – ein blutiger Wolf im Kunstpelz. Schön sind sie ja, die Bilder, schwarzweiße Impressionen einer Stadt ohne Namen und ohne Zeit. Bis sie es nicht mehr sind. Nicht mehr schön, manchmal nicht mal mehr schwarzweiß. Mit einem unschuldig-verspielten Da-Da-Da-Di-Di-Da-Popsong nimmt uns Galizia mit in eine Welt, die direkt hier ist und doch auch nicht. Später weichen diese wohlfeilen Klänge einem eher düsteren, bedrohlichen Klangteppich, der aus einem 70er Jahre Science-Fiction-Film stammen könnte. Oder auch aus der Twilight Zone.
Eine Welt, so unwirklich wie das Leben
In die fühlt man sich ohnehin des Öfteren hier versetzt. Selbst wenn Figaros Wölfe nicht in surrealen Welten unterwegs sind – was später zunehmend passiert –, so ist alles hier doch fremd, unwirklich. Einleitung und Kontext verweigert der Film, auch eine eindeutige Erklärung. Abwechselnd sehen wir, wie sich Colette mit Gilbert unterhält, wie Colette vergewaltigt wird. In welchem Zusammenhang die Szenen stehen, zeitlich wie inhaltlich, das muss sich jeder selbst erschließen. Überhaupt überlässt es Galizia dem Publikum, sich einen Reim auf die sonderbaren Ereignisse auf dem Dach zu machen.
Ob es diese Freiheit zu schätzen wissen wird? Schwer zu sagen, dafür ist das hier zu schwer zu fassen. Rape and Revenge steht in dem Programmheft. Das ist nicht falsch, beides kommt schließlich vor. Und doch hat Figaros Wölfe nur wenig mit dem gemeinsam, was wir normalerweise mit diesen Begriffen so verbinden. Poetisch, vielleicht gar märchenhaft sind die Ausflüge auf das Dach der Welt. Die Versuche, dem hässlichen Alltag der Menschheit zu entkommen. Aber es bleiben Versuche, am Ende wird jeder eingeholt – von dem da draußen, von dem in dir. 70 Minuten dauert der Film, fasziniert und verzaubert während dieser Zeit. Verstört und stößt ab. Und ist manchmal doch auch schon wieder komisch. Wie das Leben eben. Und gleichzeitig wieder nicht.
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