(OT: „Hagazussa – Der Hexenfluch“, Regie: Lukas Feigelfeld, Deutschland/Österreich, 2017)
Wir schreiben das 15. Jahrhundert, der kalte Winter breitet sich über der Alpenlandschaft aus. In einer abgeschiedenen Berghütte lebt die junge Ziegenhirtin Albrun mit ihrer Mutter (Claudia Martini). Hexen sollen sie sein, werden von den anderen Menschen gemieden. Als die Mutter einer Krankheit erliegt, bleibt die Tochter alleine zurück. 20 Jahre vergehen. Doch Albrun (Aleksandra Cwen) ist noch immer eine Ausgestoßene, hat nie den Weg zurück zu den Menschen gefunden. Da beginnt sie, eine finstere Präsenz wahrzunehmen, die in den dunklen Wäldern auf sie wartet. Immer wieder hört sie die Stimme ihrer Mutter, die nach ihr ruft. Die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschmelzen, immer stärker ergreift das Böse Besitz von ihrem Leben.
Genrefilme in Deutschland? Das geht nun wirklich nicht! So zumindest lautet ein weit verbreitetes Vorurteil. Ganz von der Hand zu weisen ist es nicht, in Teilen. Während beispielsweise immer wieder empfehlenswerte Thriller gedreht werden, tut man sich hierzulande mit fantastischeren Stoffen eher schwer. Die begeisterten Reaktionen auf German Angst hatten sicher auch damit zu tun, dass überhaupt mal etwas geschieht. Der Nachtmahr war mit der Mischung aus Horror und Coming of Age eines der seltenen Positivbeispiele, dass deutsch und abgründig sich nicht ausschließen.
Mehr als nur eine Kuriosität
Ein weiteres Beispiel ist Hagazussa, welches die Tage beim Fantastic Fest in Austin, Texas seine Weltpremiere feierte. Ein deutscher Film auf einem amerikanischen Genrefestival? Als Premiere? Noch dazu ein Abschlussfilm einer Uni? Das alleine wäre schon Grund genug, sich den Streifen einmal anzusehen. Glücklicherweise überzeugt der Horrorfilm aber nicht nur aufgrund der Umstände und der Herkunft. Er hat mit den Alpen auch nicht nur ein selten genutztes Setting für Albträume vorzuweisen. Der in Wien geborene Regisseur und Drehbuchautor Lukas Feigelfeld legt hier darüber hinaus ein derart eindringliches Großdebüt ab, an dem man sich auch gern im Ausland noch eine Scheibe abschneiden darf.
Der naheliegendste Vergleich ist hierbei The Witch. Beide spielen in einer etwas abgelegenen Gegend, spielen vor einigen hundert Jahren. In beiden Fällen wird es viel um Hexen gehen, um Aberglaube, um Einbildung auch. Passiert hier tatsächlich etwas? Sind dämonische Kräfte am Werk? Feigelfeld geht hier aber noch einen ganzen Schritt weiter, fordert noch mehr Geduld. Wo der US-Kollege über weite Strecken eigentlich das Drama einer Familie ist, welches an einem Unglück und dem Glauben zerbricht, ist das hier noch deutlich weiter reduziert. Nur selten wird außer Albrun eine weitere Person auftreten, es fehlt schlicht das Korrektiv in Form einer menschlichen Person. Jemand, der dem Wahnsinn Einhalt gebieten kann oder ihn zumindest als solchen wahrnimmt.
Atmosphärisch erstklassig
Stattdessen brummt hier eine bedrohliche Musik vor sich hin. Unheimliche Klänge, von gelegentlichen Vogelschreien und Klang der Natur zersetzt. So wie sich alles zersetzt, auseinanderfällt, verrottet. Die Psyche von Albrun, die Körper von Tieren. Manche Anblicke sind selbst für genregestählte Mägen schwerer zu ertragen, Feigelfeld mutete einem eine ganze Menge zu. Und doch ist Hagazussa eben kein Horrorschocker. Nicht Baskin und Konsorten stehen hier Pate. Die Hölle wird hier nie konkret, bleibt nebulöse Andeutung in den Weiten der Berge. Atmosphärisch gehört das mit zum Besten, was man zuletzt im Horrorbereich hat erleben dürfen. Die deutsch-österreichische Produktion lässt einen unentwegt angespannt umherrutschen, bietet keinen Ausweg: Wir sind als Zuschauer an eine Protagonistin gekettet, die zunehmend den Verstand verliert und uns mit in den Abgrund zieht.
Gleichzeitig belohnt Feigelfeld aber nicht für den Horror. Hier gibt es keine befreienden Schreckmomente. Keine Jump Scares. Eigentlich gibt es so gut wie nichts. Man könnte seitenweise über den Film schreiben und hätte doch Probleme, mit dem Inhalt einen ganzen Satz zu füllen. Es fehlt eine Geschichte oder eine Form von Handlung. Erklärungen bekommen wir ohnehin nicht. Stattdessen tauchen wir in dem betont sperrigen, unfassbaren Film ein in eine Welt voller düsterer Bilder und Paranoia. Eine Welt, die sich herkömmlichen Regeln entzieht, dramaturgischen, psychologischen, vielleicht auch naturwissenschaftlichen. Eine Welt, von der am Ende nur das Grauen übrig bleibt. Aber eben auch die Gewissheit, dass man gar nicht so weit fahren muss, um die Hölle auf Erden zu finden.
(Anzeige)