(OT: „Jürgen – Heute wird gelebt“, Regie: Lars Jessen, Deutschland, 2017)
Es würde wohl keiner auf die Idee kommen, Jürgen Dose (Heinz Strunk) und Bernd Würmer (Charly Hübner) als Gewinner bezeichnen zu wollen. Jürgen arbeitet als Pförtner und lebt mit seiner bettlägerigen, äußerst widerspenstigen Mutter zusammen. Bernd sitzt im Rollstuhl und verbringt seine Zeit damit, anderen seine Behinderung aufs Auge zu drücken. Vor allem aber scheitern sie kontinuierlich daran, eine Frau zu finden. Einen Versuchen wollen die beiden Freunde jenseits der 40 dann aber doch noch starten: EuropLove, eine Partnervermittlung für osteuropäische Frauen. Vielleicht lässt sich ja da mal was finden? Zusammen mit Gleichgesinnten, dem Reiseveranstalter Herr Schindelmeister (Peter Heinrich Brix) und Dolmetscherin Anja (Friederike Kempter) fahren die zwei nach Polen, um dort das große Glück zu finden.
Das Leben geht weiter, wird einem von wohlmeinenden Menschen gern immer mal wieder mitgegeben, wenn mal wieder alles schiefgelaufen ist. Das Problem ist nur: Meistens tut es das ohne dich. Dieses Gefühl hat man zumindest in den ersten Minuten von Jürgen – Heute wird gelebt, das auf dem Filmfest München debütierte, demnächst auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen läuft, bevor dann im Oktober das Fernsehen ansteht. Zwei Verlierer. Nicht völlig unsympathisch, aber auch nicht unbedingt der Schlag Mensch, mit dem man spontan um die Häuser ziehen wollte. Zwei Männer, die einfach nicht ihren Weg finden. Die man erbärmlich finden kann, die einem aber auch irgendwie leidtun.
Eine Geschichte aus dem traurigen Alltag
Geschrieben hat die Geschichte Hauptdarsteller Heinz Strunk, der mit seinem Alter Ego Jürgen Dose schon im Radio auftrat. Ein Buch gibt es auch. Nun also der Film. Vorkenntnisse braucht es natürlich keine, Jürgen – Heute wird gelebt steht völlig für sich. Genauer zeichnet sich die Komödie dadurch aus, dass so ziemlich jeder hier sofort andocken kann. Nur wenige Minuten braucht Regisseur Lars Jessen (Leider verwandt, Der letzte Cowboy), um zusammen mit seinen beiden Hauptdarstellern Szenario und Figuren zu skizzieren. Und auch wenn die konkrete Situation vielleicht nicht jedermanns Leben ist, so ist sie doch so universell, dass sie mehr Leuten aus dem Herzen spricht, als sie vielleicht zugeben wollen.
Um Herzensangelegenheiten geht es dabei auch. Frei von Kitsch erzählt der Film davon, wie schwierig es sein kann, die Liebe zu finden, wenn man nicht unbedingt den Hauptpreis in der Amor-Lotterie darstellt. Gerade später, wenn die muntere Ansammlung sozial ungeschickter Männer in dem polnischen Hotel die Frauen überzeugen sollen, begegnet Jürgen – Heute wird gelebt dem Thema mit viel Verständnis und Einfühlungsvermögen. Schön sind die Szenen, traurig auch, wie sie da zusammensitzen – Verlierertypen, die unbedingt wollen, aber nicht wissen wie. Die mit der Situation überfordert sind, keinen Plan B haben. Die selbst schon Plan B sind. Oder auch C.
… aber doch auch lustig
Ein bisschen altmodisch ist das zuweilen, auch weil Jürgen und Bernd sich mit der neuen Welt schwertun. Doch genau dadurch zeigt sich Jürgen – Heute wird gelebt auch sehr modern und zeitgemäß: Der Film erzählt von Menschen, die in der schnelllebigen, digitalisierten Welt durchs Raster gefallen sind. Und doch wird nicht auf die Tränendrüse gedrückt, trotz einzelner rührend-schmerzhafter Momente ist der Film Komödie, kein Drama. Mit trockenem Humor sowie einem Gespür fürs Skurrile wird die im Herzen ernste Geschichte immer wieder aufgelockert. Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den Themen Einsamkeit oder auch organisierter Liebe ist das nicht, will es nicht sein. Ein gesellschaftskritisches Zeitporträt sollen andere drehen. Strunk reicht es, dem Publikum aufzuzeigen, wie chaotisch das Gefühlsleben sein kann – und wie lustig, wenn man es aus etwas Abstand betrachtet.
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