(OT: „A Teströl és Lélekröl“, Regie: ldiko Enyedi, Ungarn, 2017)
Wenn es darum geht, Prozesse und Abläufe genau einzuhalten, dann ist Mária (Alexandra Borbély) die perfekte Frau dafür. Als Autistin ist es ihr ein Gräuel, wenn irgendwo vom Standard abgewichen wird. Sonderlich beliebt ist sie dennoch nicht, als sie in dem Schlachthaus in Budapest anfängt. Penibel, unnahbar, unpersönlich – aus ihrer Außenseiterrolle kommt sie nicht heraus. Will sie aber auch nicht. Bis sie durch einen Zufall feststellt, dass sie und der halbseitig gelähmte Finanzchef Endre (Géza Morcsányi) nachts denselben Traum haben. In diesem sind sie zwei Hirsche und streifen durch einen winterlichen Wald, immer auf der Suche nach Futter. Aus der anfänglichen Neugierde, was es mit dem kuriosen Zwischenfall auf sich hat, wird mit der Zeit echte Zuneigung. Aber wie soll aus ihnen ein Paar werden, wenn Mária nie gelernt hat, Nähe zuzulassen?
Tja, wo die Liebe hinfällt. Es ist ein gern bemühtes Bild, wenn von den Anfängen einer Liebe gesprochen wird: Ich hätte dich auch lieber im Supermarkt kennengelernt. Normalität, aus der sich etwas ganz Besonderes ergibt – das ist für viele ein Traum. Um Träume geht es in Körper und Seele auch sehr oft. Und um eine Normalität, die manchen schon wieder zu normal sein wird. So romantisch der eine oder andere die Vorstellung finden wird, beim gemeinsamen Griff in die Wursttheke die Liebe des Lebens gefunden zu haben, so wenig gilt das für den Ort, wo diese Wurst hergestellt wurde. Ein Schlachthaus als Ort der zart knospenden Liebe? Nein, danke.
Distanzierter Einblick in einen blutrot-grauen Alltag
Zumal die ungarische Regisseurin und Drehbuchautorin ldiko Enyedi auch keine Vorbehalte hat, den konkreten Arbeitsalltag aufzuzeigen. Schön ist es nicht, wenn Rinderköpfe abgeschlagen werden. Aber es gehört dazu. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wo geschlachtet wird, die Körperteile. Der Anblick wird bei manchem womöglich die Überlegung wecken, es doch mal mit vegetarischer Ernährung zu versuchen. Aber Enyedi hat kein großes Interesse daran, die Vorgänge eines Schlachthauses selbst zu thematisieren, geschweige denn zu verurteilen. Es ist, was es ist, so wird das auch festgehalten, teilnahmslos, fast schon dokumentarisch.
Die ungarische Veteranin hat wohl auch deshalb darauf zurückgegriffen, um einen möglichst großen Kontrast zu den Traumszenen herzustellen. Im einen Moment sieht man majestätische Hirsche, die sanft durch eine Winterlandschaft stapfen. Im nächsten Fleischabfälle, Kantinen und lustige Hauben. Lustig ist auch manchmal der Film. Wenn Mária versucht, sich die Welt da draußen zu eigen zu machen, indem sie es mit Playmobilfiguren nachspielt. Wenn sie Endre aus der Fassung bringt, weil sie sich an jeden einzelnen Satz erinnert, den er zu ihr gesagt hat – in der akkuraten Reihenfolge natürlich. Und auch die Szene, in der die beiden Träumenden von ihrer Gemeinsamkeit herausfinden, darf einen mal zum Lachen bringen.
Gefühlvoll und herzerwärmend
Eine Komödie ist Körper und Seele dadurch aber noch lange nicht. Drama steht auf der Verpackung, Drama ist auch meistens drin. Vor allem aber viel Herz: Der Film erzählt die Geschichte zweier Menschen, die irgendwie nicht so richtig fürs Leben gemacht sind. Mária schreckt vor allem zurück, was nah und menschlich sein könnte. Endre hat aufgrund seiner Behinderung ohnehin mit allem abgeschlossen. Wenn diese beiden in der mal skurrilen, dann wieder surrealen Romanze zusammenfinden, dann bedeutet das – ähnlich zum parallel startenden Blind & Hässlich –, dass zwei Außenseiter doch noch ihr Plätzchen finden. Und wer will dazu schon Nein sagen? Dass es nie eine Erklärung für die Träume gibt, spielt dabei keine relevante Rolle. Und auch der etwas seltsame Nebenstrang um ein geklautes Präparat ist schnell vergessen. Hier darf man sich zurücklehnen und träumen, auch am Tage, daran glauben und glauben wollen, dass alles irgendwo irgendwann irgendwie gut geht. Selbst in einem Schlachthaus.
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