(OT: „La Chana“, Regie: Lucija Stojevic, Spanien/Island, 2016)
Ein bisschen lachen möchte man an der Stelle schon, zu absurd ist die Vorstellung: ein Flamenco-Tanz im Sitzen. Wie soll das bitte schön gehen? Ist Tanzen und Sitzen nicht ein Widerspruch? Das mag sein, aber bei Antonia Santiago Amador – besser bekannt als La Chana – waren normale Maßstäbe irgendwie immer verkehrt. In eine spanische Zigeunerfamilie hineingeboren, entdeckte sie schon früh ihre Liebe für den Tanz. Flamenco sollte es sein, daran hing ihr Herz. Ihr Vater war von der Vorstellung jedoch wenig begeistert, war anfangs fest dazu entschlossen, Antonia diesen Gedanken ganz schnell wieder zu verbieten. Ihr Onkel intervenierte jedoch und konnte die Familie überzeugen, sie doch auf die Bühne zu lassen.
Was folgte war ein kometenhafter Aufstieg: In den 60ern und 70ern war sie eine Berühmtheit, Salvador Dali zählte zu ihren Gästen, Peter Sellers wollte sie mit nach Hollywood nehmen. Doch daraus wurde nichts. Anstatt immer weiter ins Zentrum des Lampenlichts zu rücken, verschwand sie plötzlich völlig. Und wie das so ist mit den Stars: Sieht man sie nicht mehr, sind sie schnell vergessen.
Leidenschaft auch im hohen Alter
Inzwischen ist Antonia über 70 Jahre alt. Der Körper will in so einer Situation natürlich nicht mehr so recht. Sie leidet an Diabetes, ihre Knie machen ihr Probleme. Deshalb auch die Entscheidung, sitzend aufzutreten. Es ist der Endpunkt von Mein Leben – Ein Tanz, gewisserweise auch der Höhepunkt. Ihre Knochen mögen Verschleißerscheinungen zeigen, an ihrer Leidenschaft hat dies jedoch nichts geändert. Der Rhythmus ist im Blut, noch immer, wenn sie mit atemberaubender Geschwindigkeit ihre flinken Füße aufstapfen lässt, dann ist sie es, die den Takt angibt. Die jungen Männer um sie herum? Bloßes Beiwerk.
Das war nicht immer so, wie Regisseurin Lucija Stojevic hier erzählt. Erst war es der despotische Vater, der ihr Leben bestimmte. Später ein Ehemann, der offensichtlich zur Gewalttat neigte. Die Geschichte der großen Flamenco-Tänzerin ist daher eine mit zwei sehr unterschiedlichen Seiten. Auf der einen die wilde Künstlerin, ein Wirbelwind, der alles mit sich riss, was ihm in den Weg kam. Auf der anderen die Frau, die es nicht fertigbrachte, sich gegen die Unterdrückung ihres Umfelds zu wehren. Die am Ende irgendwo ihr Leben wegwarf, ihr Schicksal nicht wahrnahm. Denn Tanzen war alles für sie, ist es zum Teil bis heute noch.
Nicht tiefgründig, aber sehenswert und unterhaltsam
Stojevic mischt dafür Archivaufnahmen, die La Chan in ihrer Blütezeit zeigt, mit aktuellen, während sie sich auf ihren neuen, vielleicht letzten Auftritt vorbereitet. Der Blick auf die Bühne, er bedeutet immer auch den Blick zurück auf das, was war. Das, was hätte sein können. Und so wechselt die Atmosphäre auch regelmäßig zwischen Melancholie, Nostalgie, aber auch purer Lebensfreude. Denn Antonia ist wer, noch immer eine Naturgewalt. Der Mensch hinter den flotten Füßen? Der schimmert eher seltener durch. Wir sehen, wie sie sich Schokolade erkämpft und ihren Hund mit Hummer füttern will. Kleine nette, lustige Anekdoten, die aber nur bedingt dazu geeignet sind, etwas über den Menschen auszusagen. Schön wäre es schon gewesen, die lange Zeit zwischen ihrem Abgang und dem Comebackversuch nicht ganz so sehr unter den Teppich zu kehren. Schön anzusehen und unterhaltsam ist die Doku aber durchaus, vor allem während der Tanzszenen.
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