(OT: „Hikari“, Regie: Naomi Kawase, Japan, 2017)
Wie lassen sich Bilder in Worte fassen? Dieser Frage geht Misako Ozaki (Ayame Misaki) jeden Tag aufs Neue nach, aus gutem Grund: Sie schreibt Hörfassungen von Kinofilmen. Regelmäßig trifft sie sich dafür mit einer Gruppe von Blinden, um sich so Rückmeldung von Betroffenen zu holen. Positiv fällt diese nicht immer aus, vor allem Masaya Nakamori (Masatoshi Nagase) lässt kein gutes Haar an ihrer Arbeit. Dennoch kommen sich die Autorin und der zunehmend erblindende ehemalige Fotograf näher, finden Gefallen aneinander und helfen sich auch, mit ihren jeweiligen Lebenssituationen klarzukommen.
Eines muss man Naomi Kawase ja schon lassen: Sie sucht sich immer recht ungewöhnliche Szenarien, um ihre Geschichten zu erzählen. In Still the Water kombinierte sie Insel-Exotik und Natur-Esoterik mit einem schwierigen Aufwachsen. In Kirschblüten und rote Bohnen wiederum widmete sie sich der sinnlichen Erfahrung des Essens, fügte dem aber noch melodramatische und eher wenig appetitliche Aspekte hinzu. Nun also ein blinder Fotograf und eine Autorin, die das Wesentliche nicht sieht. Zwei Menschen mit Mängeln und Makel, mit Traumata und Träumen, die das genaue Gegenteil voneinander sind und genau deshalb so gut zusammenpassen.
Neu und doch wie immer
Der inhaltliche Sprung innerhalb der letzten drei Filme ist beachtlich. Und doch ähneln sie einander, sind typisch für die japanische Regisseurin. Erneut beispielsweise die Vorliebe für die Natur, die Sehnsucht nach dem Schönen, das uns umgibt. Nirgends wird das deutlicher, wenn Misako die Stadt verlässt, um ihre alte, verwelkende Mutter zu besuchen – ein starker Kontrast zu der bezaubernd-lebendigen Landschaft, in der diese lebt. Und Sinnlichkeit spielt ohnehin wieder eine große Rolle. Diesmal ist es nur nicht das Schmecken, sondern das Sehen.
Aber was heißt Sehen überhaupt? Was bedeutet es, allgemein und für den Einzelnen? Kawase geht dieses Thema gleich mehrfach an. Da wäre der Film im Film, den Misako in Worte zu fassen versucht und immer wieder scheitert. Denn dafür ist Wahrnehmung dann doch zu subjektiv: Was dem einen ins Auge springt, ist dem anderen unsichtbar. Ist dem anderen vielleicht aber auch gar nicht so wichtig. Die Welt, durch die wir uns bewegen, existiert nur über die Subjektivität. Wir sehen, was in uns steckt.
Die Suche nach dem Neuanfang
Diesen Horizont zu erweitern, ist eines der beiden großen Anliegen in Radiance. Sich öffnen, das Umfeld, aber auch sich selbst neu entdecken. Gleichzeitig bedeutet dieser Wandel aber auch: loslassen. Wieder und wieder. Loslassen von den Menschen, die wir lieben. Im Fall von Masaya: loslassen von dem Leben, das wir lieben. Auch wenn es schwerfällt, der Verlust des Augenlichts die größtmögliche Strafe für einen Fotografen ist. Immer wieder zwingt Kawase die beiden Protagonisten, aber auch die Zuschauer, sich damit auseinanderzusetzen. Mal löst sie es rein bildlich, arbeitet mit Stimmungen. Dann wieder geht sie lieber auf Nummer sicher und nutzt Dialoge dafür.
Besser geglückt sind die stillen Momente, in denen sich der Film völlig zurücknimmt – wie Misako auch fällt es der Filmemacherin nicht ganz leicht, die passenden Worte zu finden. Das kann dann schon mal ein bisschen zu viel sein, so wie Kawase ja allgemein gern mal dem Kitsch etwas nahe kommt. Aber auch wenn der Wille manchmal etwas zu stark ist, die eine oder andere Szene ein bisschen dick aufgetragen: Radiance ist ein schönes Drama über die Zerbrechlichkeit des Lebens, flüchtige Augenblicke und die Suche nach dem Glück. Darüber, eins mit unserem Umfeld zu werden, es in uns aufzunehmen, aber eben nicht darin verharren zu wollen.
(Anzeige)