Sicilian Ghost Story

(OT: „Sicilian Ghost Story“, Regie: Fabio Grassadonia/Antonio Piazza, Frankreich/Italien/Schweiz, 2017)

Sicilian Ghost Story
„Sicilian Ghost Story“ läuft im Rahmen des 31. Fantasy Filmfests (6. September bis 1. Oktober 2017)

Lange hat sie gezögert, sich einfach nicht so recht getraut, über ihre Gefühle zu sprechen. Bis sie sich doch traute: Die 13-jährige Luna (Julia Jedlikowska) übergibt ihrem Mitschüler Guiseppe (Gaetano Fernandez), in den sie schon länger verliebt ist, ihren Brief. Und für einen Moment scheint es so, als wäre ihr Traum in Erfüllung gegangen: Er mag sie auch, zusammen verbringen sie einen wunderbaren Tag. Doch das Glück währt nicht lange, kurze Zeit drauf verschwindet er spurlos. Während der Rest des kleinen sizilianischen Dorfes so tut, als wäre nichts geschehen, selbst die Polizei die Hände in den Schoß legt, lässt Luna nichts unversucht, um Guiseppe wiederzufinden.

Die 2017er Ausgabe vom Fantasy Filmfest wird wohl als die in die Geschichte eingehen, in der die Kinder das Sagen haben. Nein, Deutschlands beliebtestes Genrefestival versuchte nicht, an die weniger ruhmreichen Tage anzuschließen, als das Programm um familienfreundliche Filme erweitert werden sollte. Aber es ist doch auffällig, dass es dieses Mal vor allem die Streifen mit den jungen Protagonisten sind, die in Erinnerung bleiben – auch der hohen Qualität wegen. Der Stephen-King-Blockbuster Es kombinierte zum Auftakt auf sehr unterhaltsame Weise Coming of Age mit klassischem Horror. Super Dark Times ist ein wunderbar atmosphärisches Dark Drama um eine auseinanderbrechende Freundschaft. In Playground wiederum, einem polnischen Festivalbeitrag, heißt es sich im Vorfeld gegen die Grausamkeiten dieser Welt zu wappnen.

Ein Wunder zwischen allen Grenzen und darüber hinaus
Und dann wäre da noch Sicilian Ghost Story, der in Cannes Premiere feierte und hier als Centerpiece besonders gewürdigt wird – völlig zu Recht. Die Geschichte selbst ist relativ simpel und basiert auf einem wahren Fall, der sich in den 1990ern zugetragen hat. Oder besser: Der Film ließ sich davon inspirieren, verwandelte ihn in etwas ganz anderes. Was genau das Ergebnis ist, lässt sich gar nicht so leicht kategorisieren. Romanze, Thriller, Drama, Horror, Mystery, Fantasy – all das lässt sich hier wiederfinden und gibt doch nicht wieder, was einen hier in zwei Stunden erwartet.

Märchenhaft fängt es an, inmitten unberührter Natur die ersten kleinen Schritte einer jungen Liebe. Ein böser Hund stellt sich den zweien in den Weg, doch der gewitzte Guiseppe schafft es, das Mädchen zu beschützen. Anspielungen an Märchen und Sagen wird es zuhauf geben: der rote Mantel aus Rotkäppchen, Pegasus wird genannt, mit Symbolen der Unterwelt gespielt. Auch „Romeo und Julia“ schaut vorbei. Warum Lunas Familie so sehr gegen eine Verbindung zu Guiseppe ankämpft, bleibt zunächst ein Rätsel. Allgemein lassen sich Fabio Grassadonia und Antonio Piazza bei ihrem zweiten Spielfilm nicht so leicht in die Karten schauen. Gerade zu Beginn springen sie in der Chronologie hin und her, bevor sie zu der eigentlichen Geschichte kommen.

Realität und Fantasie werden eins
Aber auch wenn später die Umrisse klarer werden: Immer wieder verwischen Grenzen, zwischen hier und jetzt, Realität und Fantasie. Träume spielen eine wichtige Rolle. Träume sind es, die beide verbinden. Die Luna dazu antreiben weiterzusuchen, auch wenn ihr niemand hilft. Die auch Guiseppe Halt geben, während er auf Rettung wartet. Dem gegenüber steht eine harsche, graue Welt, die sich nicht interessiert, für keines der beiden Kinder. Der Film handelt eben auch von der Suche, von Selbstbehauptung, wenn du niemand sein darfst. Nur das Abziehbild der anderen. Der Eltern (Vincenzo Amato, Sabine Timoteo). Was nicht passt, wird passend gemacht. Oder weggeworfen: Der Status Quo muss bewahrt werden, außerhalb dieser kalten Mauern herrscht das Nichts.

Aber eben auch eine wunderbare Parallelwelt, die einen lachen und staunen lässt. Die einen weinen lässt. Ähnlich zu Das Märchen der Märchen, vor allem aber Pans Labyrinth treffen schnöde Alltagslast auf befreiende Fantasien, helfen uns bizarre, surreale Ereignisse dabei, eine unerträgliche Gegenwart zu besiegen. Das ist manchmal etwas lang, die Nebenfiguren verschwinden im Nirwana oder wirken kaum wie Menschen. Aber es ist eine Reise, die zu den schönsten zählt, die man dieses Jahr im Kino antreten darf. Eine Reise, in der Poesie und Grausamkeit Hand in Hand schreiten, durch dunkle Wälder, in verwunschenen Seen eintauchen, um dort zusammenzufinden. Wunderbare Bilder, die manchmal ins Fantastische hinübergleiten, ein unglaubliches Sound Designs, das vom ersten Eulenschrei an fesselt. Und zwei junge Menschen, verträumt und wild, unbändig und unzähmbar in ihrem Wunsch, gemeinsam an einem anderen Ort zu sein. Das Publikum? Während da oben auf der Leinwand Licht auf Dunkel trifft, Trost auf Verderben, tut man es den zwei Liebenden gleich, beginnt zu träumen und sich selbst zu vergessen – und sei es nur, um das eigene Herz nicht mehr spüren zu müssen, das unterwegs in Stücke gerissen wurde.



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Zwei Kinder lernen sich lieben und werden im Anschluss gleich wieder getrennt: Inspiriert von einem wahren Ereignis erzählt „Sicilian Ghost Story“ eine märchenhafte Geschichte, die sich jeglicher Grenzen verweigert. Realität und Fantasie verschmelzen, Trost und Verderben werden eins in einem ebenso wunderbaren wie herzzerreißenden Film.
9
von 10