(OT: „Spit’n’Split“, Regie: Jérôme Vandewattyne, Belgien, 2017)
Fantasy, Horror, Thriller, Science-Fiction, vielleicht auch schwarze Komödien – das ist es, was wir beim /slash Filmfestival erwarten. Normalerweise. Spit’n’Split gehört keinem dieser Genres an, nicht so wirklich zumindest. Und normal ist hier schon einmal gar nichts. Immer wieder wird hier zwar davon gesprochen, von Normalität, was sie ausmacht. Ob es sie überhaupt gibt. Davon wie Menschen, die sich nicht den Regeln unterwerfen oder sie vielleicht auch nicht verstanden haben, schnell von der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Und was hat das jetzt mit Musik zu tun? Das ist eine der vielen Fragen, die einem bei Spit’n’Split durch den Kopf schießen. Nicht alle davon werden eine Antwort bekommen. Und bei mancher Antwort ist nicht sicher, ob man sie tatsächlich hat haben wollen.
Unfraglich ist nur eins: Hier geht es um The Experimental Tropic Blues Band. Oder zumindest das, was sie vor laufender Kamera macht und vorgibt zu sein. Denn so richtig sicher kann man sich auch hier nicht sein. 1999 wurde die belgische Band gegründet und macht noch immer Punkrock. Zumindest sieht es danach aus, Piercings und schäbigen Undergroundclubs nach zu urteilen. Zu hören bekommen wir davon jedoch relativ wenig. Regisseur Jérôme Vandewattyne, der die Jungs während einer Tour begleitet hat, fand es offensichtlich spannender, deren Alltag zu zeigen. Für Fans der Band könnte das enttäuschend sein. Dafür entschädigt Spit’n’Split mit Szenen, die man in der Form noch in keiner Musikdoku gesehen hat. Oder überhaupt einem Film.
Große Jungs auf exzessiver Klassenfahrt
Relativ normal geht es noch los. Und nachvollziehbar: Wenn sich ein paar erwachsene Männer eher bescheidene Räumlichkeiten teilen müssen, in Hochbetten schlafen oder auf dem frostigen Boden, dann teilt man schnell den Frust mancher Bandmitglieder. Warum tun sie sich das an? Das fragen nicht nur sie, auch das Publikum kommt schnell ins Grübeln. Leidenschaft. Natürlich. Aber vielleicht auch, weil das mit dem Erwachsenwerden nicht immer so ganz einfach ist. Zumindest gibt es eine Reihe von Situationen, in denen man meinen könnte, bei einer Klassenfahrt dabei zu sein – alkoholische Exzesse und ordinäre Späße inklusive.
Ein solcher ist auch der Titel an sich: Spit’n’Split, damit bezeichnet man in Pornos die Vorbereitung auf Analverkehr. Draufgespuckt, Arschbacken auseinandergeschoben und es kann losgehen. Sex an sich spielt in der Doku keine Rolle, auch wenn durchaus mal männliche Geschlechtsteile in die Kamera gehalten werden. Für einen guten Zweck. Zur Belustigung vielleicht. Denn lustig ist es, was hier passiert. Lustig und sehr verrückt. Unterwegs werden The Experimental Tropic Blues Band Menschen begegnen, die sich jeder Kategorisierung verweigern. Höhepunkt ist ein etwas eigenwilliger Vertreter des Homo sapiens, dessen Zimmer so kurios vollgestopft ist, dass man jegliche Orientierung verliert – auch weil einem die umherfahrende Kamera keinen Anhaltspunkt liefert, wo denn eigentlich oben und unten ist. Vermutlich weiß sie es in dem Moment selbst nicht so genau.
Der surreale Trip in die Menschlichkeit
Allein die Ansammlung diverser Seltsamkeiten macht den Film auch für Nichtfans zu einem Ereignis. Je weiter Spit’n’Split voranschreitet, umso bizarrer und surrealer wird es hier. Is this the real life? Is this just fantasy? Vandewattyne vermeidet es, zu sehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden zu wollen. Von den Jungs einmal abgesehen, dürfte keiner hier wirklich wissen, was tatsächlich passiert und was nur vorgespielt ist. Und selbst bei ihnen selbst will man sich lieber nicht wirklich festlegen. Ein großer Spaß ist diese Fahrt durch den Irrsinn aber auf jeden Fall, auch wenn zum Ende hin ernstere Töne angeschlagen werden. Freundschaft, Selbstsuche, künstlerische Verwirklichung, was einen eben so antreibt. Und fast könnte man meinen, dass es auch in den belgischen Tropen menschlich zugeht. An der Stelle wurde das Publikum aber schon so oft verstört, dass man lieber erst mal gar nichts mehr glauben mag.
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