(OT: „Victoria and Abdul“, Regie: Stephen Frears, UK/USA, 2017)
Seit 50 Jahren sitzt Königin Victoria (Judi Dench) nun bereits auf dem Thron, das British Empire erstreckt sich über zahlreiche Länder. Und das gilt es zu feiern, mit viel Prunk, mit vielen adeligen Gästen. Und natürlich mit schönen Geschenken. Ein solches sollen auch die beiden indischen Bediensteten Abdul (Ali Fazal) und Mohammed (Adeel Akhtar) überreichen. Doch der Plan, die Monarchin mit einer indischen Gedenkmünze zu erfreuen, geht nicht so ganz auf. Dafür findet sie Gefallen an Abdul selbst. Aus anfänglicher Neugierde für den ebenso exotischen wie hübschen Mann wird schnell Zuneigung und gar Freundschaft. Der Rest des Hofes ist über diese Entwicklung jedoch weniger erfreut. Vor allem Bertie (Eddie Izzard), der Prince of Wales und nächster Thronanwärter, ist empört, wie viel Aufmerksamkeit der muslimische Ausländer von seiner Mutter erhält.
Biopics über ältere Damen scheinen in den letzten Jahren ja zu einem Dauerthema für Stephen Frears geworden zu sein. Letztes Jahr brachte er uns in Florence Foster Jenkins die schlechteste Opernsängerin aller Zeiten näher, 2013 erzählte er in Philomena die rührende Geschichte einer Frau, die 50 Jahre später ihren Adoptivsohn sucht. Und dann wäre da ja noch Die Queen, jenes Royal Drama, das dem Briten sogar eine Oscar-Nominierung als bester Regisseur einbrachte. Business as usual, möchte man daher meinen, wenn Frears dieses Mal der Ur-Ur-Großmutter von Queen Elizabeth II einen Besuch abstattet. Der Frau also, die bis vor zwei Jahren noch den Rekord der am längsten regierenden Königin aller Zeiten innehatte.
Humorvoller Umgang mit der Wahrheit
Und doch, so ganz vergleichbar ist das neueste Werk des 76-Jährigen nicht mit seinen vorangegangenen Filmen. „Based on a true story“ heißt es zu Beginn von Victoria & Abdul. „Mostly“, wie kurz darauf hinzugefügt wird. Ein einzelnes Wort, das aber doch ganz gut auf das vorbereitet, was den Zuschauer in den folgenden rund 110 Minuten erwartet. Zum einen nahmen es Frears und Drehbuchautor Lee Hall (Billy Elliot) mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau. Vor allem aber begegnen die beiden dem Thema mit überraschend viel Augenzwinkern.
Das soll sich im Film selbst so fortsetzen: Abdul wurde seiner Größe wegen als Überbringer des Geschenks ausgewählt. Dass sein Kompagnon Mohammed da so gar nicht ins Bild passt, ist nur einer von mehreren anfänglichen Running Gags. Überhaupt entpuppt sich der kleingewachsene, ständig missgelaunte Inder als echter Szenendieb, wenn er kontinuierlich alles kritisiert und bemängelt, was ihm begegnet. Ehrfürchtige Verneigung vor der mächtigsten Frau der Welt? Bewunderung gar? Nee, er will lieber schnell nach Hause, beschimpft die Briten für deren gewöhnungsbedürftigen Essgewohnheiten gern als Barbaren.
Ein Königshaus voller Narren
Allgemein ist es auffällig, wie wenig respektvoll Victoria & Abdul mit dem Königshaus umgeht. Ob es nun der Nachwuchs der Monarchin ist oder die Bediensteten, der Palast wimmelt von wichtigtuerischen Nichtsnutzen ohne Rückgrat. Und auch Queen Victoria ist, zunächst zumindest, nicht mehr als eine Witzfigur, eine alte, gelangweilte Frau mit Übergewicht und Verdauungsproblemen. Das soll sich natürlich ändern: Die bissigen Szenen machen gefühlvollen Platz, aus den beiden so ungleichen Protagonisten werden echte Freunde. Die unnahbare alte Frau zeigt ihre weichen, warmen Seiten, ihr Bedürfnis nach echtem Interesse.
Das verläuft alles nach recht bekannten Bahnen, spart sich zudem jedes Risiko oder größere Ambitionen. Der inhaltliche Sprengstoff einer Freundschaft zwischen Kolonialisten und besseren Sklaven wird kaum angesprochen, stattdessen gibt es Wohlfühl-Tragikomik. Vor allem aber bleibt Abdul seltsam blass. Ist er der Königin in aufrichtiger Bewunderung ergeben oder nutzt er sie doch nur aus? Victoria & Abdul gibt keine Antwort darauf, interessiert sich auch gar nicht so recht für den Mann. Seine Persönlichkeit verschwindet hinter einem Lächeln und Dauerfreundlichkeit. Das ist auf Dauer etwas unbefriedigend, so wie der Film allgemein nach einer Weile ziemlich auf der Stelle tritt. Wer aber gar nicht den Anspruch auf richtig viel Tiefgang hat, der kann sich an den humorvollen Dialogen erfreuen, an den prachtvollen Kulissen – und natürlich an Judi Dench, die in ihrem zweiten Auftritt als Victoria – nach Ihre Majestät Mrs. Brown – mal wieder alle überragt und auch das nötige Maß an Selbstironie mitbringt.
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