Casting
© Piffl Medien

Casting

(OT: „Casting“, Regie: Nicolas Wackerbarth, Deutschland, 2017)

Casting
„Casting“ läuft ab 2. November 2017 im Kino

Mehrere Dokumentarfilme hat sie bereits gedreht, nun soll es endlich der erste Spielfilm werden. Und nicht irgendeiner: Vera (Judith Engel) hat die Ehre, fürs Fernsehen Fassbinders Klassiker Die bitteren Tränen der Petra Kant neu inszenieren zu dürfen. Und dafür muss alles perfekt sein. Während die Regisseurin so beim Casting eine Schauspielerin nach der anderen verschleißt und sich auf nichts festlegen will, steigt beim Rest der Crew die Nervosität. Casterin Ruth (Milena Dreißig) gehen die Option aus, Maskenbilderin Tamara (Victoria Trauttmansdorff) ist es leid, sich ständig bevormunden zu lassen, Produzent Manfred (Stephan Grossmann) sitzt der Fernsehsender im Nacken. Nur Gerwin (Andreas Lust) hat an der Geschichte Spaß. Der wollte früher selbst einmal Schauspieler werden und verdient sich als Anspielpartner bei Proben etwas dazu.

Als Kinogänger interessiert einen meistens nur das, was am Ende rauskommt: der Film. Der Weg dorthin? Nebensächlich, dafür hat man schließlich nicht bezahlt. Dann und wann, bei den großen Blockbustern vornehmlich, werden auch die Dreharbeiten noch medial begleitet, wird von Schwierigkeiten berichtet, Unfällen, Problemen. Alles, was das eigene Klatschherz erfreut. Bei Casting kommt es erst gar nicht so weit. Der Film erzählt nicht von einem fertigen Film, nicht einmal von dem Dreh. Er führt uns vor Augen, was eigentlich alles im Hintergrund passiert, noch bevor die erste Klappe fällt. Kann das überhaupt spannend sein? Interessiert sich jemand dafür, umso mehr, wenn dabei nicht einmal Stars die Hauptrolle spielen? Oh ja, und wie! Denn Casting ist kein reiner Meta-Film über das Filmen. Es ist auch ein Lehrstück über die menschliche Natur.

Von großen Egos und großen Demütigungen
Das wäre ihre Art zu arbeiten, gibt Vera gleich zu Beginn zu verstehen. Dreimal hat sie die Schauspielerin bereits antreten lassen, nun beim vierten Mal darf sie endlich auch vorspielen. Grotesk im Typ verändert, mit einer schwarzen Perücke, die sie härter erscheinen lassen soll. Reine Schikane, so möchte man meinen, Ausdruck persönlicher Selbstüberschätzung und menschlicher Geringschätzung. Vera die Böse. Nur haben wir vorher auch einige Minuten mit der Darstellerin selbst verbracht, auch sie hat ein beträchtliches Ego, das sie nun etwas zurückstutzen muss – der Weg ins Fernsehen ist von vielen Demütigungen begleitet. Eigentlich mag man also keine der beiden Damen.

Wo andere Filme  mit klaren Sympathieträgern und Identifikationsfiguren arbeiten, gibt es hier erst einmal nur Abschreckung. Kann man hier überhaupt jemanden mögen? Doch gerade wenn man die Leute in schlimm und schlimmer eingeteilt hat, macht dann doch jemand etwas Überraschendes. Etwas Nettes. Vielleicht gar etwas Menschliches. So wie die Zuneigung zu den Figuren dynamisch und im ständigen Wandel ist, so trifft das auch auf die Machtverhältnisse zu. „Du kannst das entscheiden“, sagt eine der Schauspielerinnen zu Vera, um so ihre Chancen zu verbessern. Jeder wird irgendwann versuchen, Einfluss zu nehmen, zu überreden, für sich das Beste herauszuschlagen – der eine direkt, der andere über Umwege.

Genüsslich und hässlich auf der Stelle treten
Das hält auf der einen Seite die Spannung hoch, schließlich steht das Projekt so oft auf der Kippe, werden so oft Allianzen geschmiedet und wieder gebrochen, dass man hier so gar keine Ahnung hat, was am Ende dabei rauskommt. Gleichzeitig macht es Casting manchmal ein wenig anstrengend. Die Leute und ihre übergroßen Egos sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass hier nie etwas vorangeht. Wer eine beliebige Szene aus dem Film schneiden würde, könnte unmöglich sagen, aus welcher Stelle diese ist. Es fehlt dadurch das Gefühl jeglicher Entwicklung, zumal nicht alles immer ganz nachvollziehbar ist. Unterhaltsam dafür im Großen und Ganzen schon: Bissig und spöttisch wird hier das Filmgeschäft auseinandergenommen, die Schauspieler gehen mit viel Mut zur Hässlichkeit ans Werk. Kunst oder Kommerz sind nur zwei Eckpunkte in einem Kampf, der nur wenige Gewinner, dafür jede Menge Verlierer kennt.



(Anzeige)

Ein Film muss schnell gedreht werden, aber wer bekommt die Rolle? „Casting“ nutzt das Besetzungskarussell einer TV-Produktion, um genüsslich das Filmgeschäft als solches zu demontieren. Das ist mitunter etwas anstrengend und repetitiv, insgesamt aber ein sehr amüsanter Blick auf einen auch demütigenden Kampf um Rollen und künstlerische Integrität.
7
von 10