(OT: „Coco“, Regie: Lee Unkrich/Adrian Molina, USA, 2017)
Für den 12-jährigen Miguel gibt es nur einen Traum: Er möchte Musiker werden, so wie sein großes Vorbild Ernesto de la Cruz. Wann immer er kann, schaut er sich Videos seines verstorbenen Idols an oder übt auf seiner Gitarre. Da gibt es nur ein Problem: seine Familie. Die hat wenig für Musik übrig, hasst sie sogar. Schließlich hat sein Ur-Ur-Großvater damals Frau und Kind verlassen, um seine Karriere voranzutreiben. Seither ist jede Form von Musik tabu. Doch Miguel lässt sich davon nicht abbringen. Während alle mit den Vorbereitungen auf den Tag der Toten beschäftigt sind, schleicht er sich heimlich in die Gruft von de la Cruz und entwendet dessen Gitarre. Das Ziel: an einem Musikerwettbewerb teilnehmen. Stattdessen steckt er aber plötzlich mitten im Land der Toten und braucht nun ausgerechnet die Hilfe seines Idols, um wieder zurück zu den Lebenden zu kommen.
Einfach nur unterhalten? Das war den Pixar Studios zu wenig. Sollen doch die Kollegen der Blue Sky Studios (Ice Age) und Illumination (Minions) in erster Linie auf Slapstick setzen, bei Pixar war man seit dem Debüt Toy Story im Jahr 1995 immer um etwas mehr Tiefgang bemüht. Oder sagen wir fast immer. Nicht jeder ihrer Filme wurde diesem Anspruch auch gerecht, gerade in den letzten Jahren verlor man ein wenig das erwachsene Publikum aus den Augen. Dass die Amerikaner aber noch immer eigene Wege gehen können, das bewiesen sie vor zwei Jahren mit dem Meisterwerk Alles steht Kopf. Und auch wenn Coco es nicht wirklich mit diesem aufnehmen kann, so gehört er dieses Jahr doch zweifelsfrei zur ersten Garde des Animationsbereiches.
Was lange währt, wird endlich bezaubernd
Dabei durfte man zwischenzeitlich schon seine Zweifel haben, ob der Film denn noch das Tageslicht erblickt. Mehrere Jahre arbeitete Pixar an dem Werk. Immer mal wieder hörte man von ihm, ohne dass es je konkreter würde. Aber die viele Zeit, die in Coco investiert wurde, die auch in Recherchen vor Ort in Mexiko investiert wurde, hat sich bezahlt gemacht – zumindest visuell. Technisch gehört das Studio traditionell zur absoluten Spitze seines Faches; ein Ruf, der hier mal wieder eindrucksvoll bestätigt wird. Ob wir in dem mexikanischen Dorf Santa Cecilia unterwegs sind oder später im Land der Toten, überall wimmelt es vor Details, gibt es etwas zu entdecken und bestaunen.
Anders als Manolo und das Buch des Lebens, der vor bald drei Jahren ebenfalls am Tag der Toten spielte, legt Coco dabei viel Wert auf Realismus, zumindest innerhalb des fantastischen Rahmens. Die Figuren sind ausdrucksstark, dabei aber doch dem Hier und Jetzt entnommen – anders als die stark stilisierten Kollegen. Geradezu unheimlich ist es, wie Pixar das Dorf zum Leben erweckt hat. An vielen Stellen möchte man fast meinen, in einem tatsächlichen Dorf durch die engen Gassen zu laufen. Noch stärker als die in freundlichen Farben gehaltene reale Welt wird aber das Land der Toten zu einem optischen Highlight. Einerseits düster, gleichzeitig aber knallbunt, verschmelzen die vielen fantasievollen Elemente zu einem Gemälde, das surreal, morbide und doch voller Lebensfreude ist. Schließlich ist der Tag der Toten anders als bei uns kein Tag der stillen Andacht, sondern ein rauschendes Fest.
Humor und Herz
Dass bei diesem kräftig gelacht werden darf, versteht sich von selbst. Adrian Molina, der hier das Drehbuch schrieb und gemeinsam mit dem Pixar-Veteran Lee Unkrich Regie führte, entwarf eine Reihe kurioser Figuren, die das Abenteuer immer wieder auflockern. Gerade im Land der Toten pflegt man – so scheint es – ganz gern die eigenen Spleene. Da braucht es nicht einmal den tollpatschigen Hund oder auch den überlebensgroßen Ernesto de la Cruz. Im Schatten des Megastars tummeln sich viele andere, die das eigene Ableben nicht unbedingt als Anlass für Selbstreflexion ansehen, von einer komischen Situation in die nächste stolpern.
Dabei ist Coco durchaus nachdenklich, regt das Publikum auch dazu an. Vor allem aber will es zum Erinnern anregen: Ein Mensch ist erst dann wirklich tot, wenn sich niemand mehr an ihn erinnert. Wie in Mexiko üblich wird gerade das Erinnern, speziell an die Familie zelebriert. Dass dies mit rührenden Szenen einhergeht, versteht sich von selbst. Allgemein glänzt der Film nicht unbedingt mit großen Überraschungen. Man ahnt hier doch relativ schnell, was gespielt wird, auch der Gegensatz zwischen individueller Entfaltung und familiärer Verpflichtung findet seine erwartungsgemäße Auflösung. Es fehlt also die große Originalität, die andere Werke von Pixar ausgezeichnet hat, zum Beispiel Die Monster AG oder WALL·E – Der letzte räumt die Erde auf. Aber was Coco in der Hinsicht mangelt, das macht er mit viel Leidenschaft und Energie wieder wett. Und mit einer wehmütig-theatralischen Musik, die sich wirklich an dem mexikanischen Setting orientiert und dem Film im Vergleich zur charakterlosen Dauerpop-Berieselung der Animationskonkurrenz diverse Sympathiepunkte beschert.
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