(OT: „Das Verschwinden“, Regie: Hans-Christian Schmid, Deutschland, 2017)
Die 20-jährige Janine Grabowski (Elisa Schlott) verschwindet nach einem Abend mit Freunden in der Diskothek der kleinen bayrischen Provinz nahe der tschechischen Grenze spurlos. Ihre Mutter Michelle (Julia Jentsch) wendet sich an die Polizei, die ihrer Meinung nach zu wenig unternimmt, um die Vermisste zu finden. Michelle begibt sich selbst auf die Suche nach ihrer Tochter und deckt nach und nach Details aus Janines Leben auf.
Aus alt bekanntem Plot entsteht etwas Neues
Eine junge Mutter, die auf eigene Faust auf die Jagd nach Antworten geht, weil sie von der Polizei im Stich gelassen wird – okay, so etwas kennt man. Und zugegeben, diese kurze Beschreibung der Miniserie Das Verschwinden verleitet nicht unbedingt dazu, sich ganze acht Folgen über genanntes Thema reinziehen zu wollen. Wer dennoch dran bleibt, wird aber belohnt! Das Verschwinden ist keinesfalls ein langweiliger Krimi, der künstlich in die Länge gezogen wird. Man kann schon von einem kleinen Meisterwerk der Serienkunst sprechen, zieht uns diese Serie doch gleich mit Haut und Haar in ihren Bann.
Viele kleine Puzzleteile
Wir befinden uns in einer kleinen Provinz direkt an der Grenze zu Tschechien. Das Kleinstadtleben wirkt trist und bedrückend. Im Laufe der Serie lernen wir ein paar Familien aus eben dieser Kleinstadt bis in ihr tiefstes Inneres kennen. Genau dies unterscheidet eine Serie von einem 90-minütigen Film; das Kennenlernen! Jede Familie erzählt ihr eigenes Schicksal und jede dieser Geschichten hätte einen Film verdient. Die Perspektivlosigkeit junger Menschen vom Land, das engstirnige rassistische Denken, der Kampf der Polizei gegen den Drogenschmuggel an der Grenze, die Machtlosigkeit eines Elternpaares bezüglich der Drogensucht ihrer Tochter, all diese kleinen Puzzleteile begleiten den Zuschauer durch die 8 Folgen hindurch, im Mittelpunkt immer die verzweifelte Suche von Michelle.
Michelle wird gezeichnet als eine alleinstehende Frau mit zwei Töchtern, von denen die jüngere noch bei ihr wohnt. Sie arbeitet als Altenpflegerin und befindet sich gerade im Sorgerechtsstreit um die jüngste Tochter. Glück sieht anders aus – Michelle wirkt etwas abgestumpft, kommt nicht mehr richtig an ihre ältere Tochter Janine ran, das Leben plätschert eben so vor sich hin. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Janine verschwindet. Von da an erleben wir eine komplexe Frauenfigur, die weit über ihre Grenzen hinaus geht. Absolut selbstlos wächst sie an ihren eigenen anfänglichen Fehlern und fasziniert den Zuschauer durch ihre Verletzlichkeit und ihr gleichzeitiges heldenähnliches Verhalten.
Nicht ist so wie es scheint
Immer wieder erwischt sich der Zuschauer beim Zusammenbasteln der einzelnen Geschehnisse um zu einer logischen Erklärung für alles zu gelangen, die dann jedes mal wieder komplett zerschossen wird. Die Story ist so komplex ausgearbeitet, dass sie für einige Überraschungsmomente sorgt. Fast schon das Wichtigste einer Serie sind die Cliffhanger am Ende jeder Episode – schaue ich diese Serie weiter oder reicht mir, was ich gesehen habe? – Das Verlangen, weiterzuschauen, steht bei Das Verschwinden absolut außer Frage.
Das Tempo der Serie ist anfänglich gut und in den mittleren Folgen etwas zäh. Das Ende wiederum ist so ereignisreich, dass man das Gefühl hat, alles musste noch schnell in die letzte Folge gepackt werden. Vielleicht war es genau so gewollt, der Spannungshöhepunkt schießt dadurch natürlich ins Unendliche. Regisseur Hans-Christian Schmid hat mit seiner ersten Serie einen Meilenstein für folgende deutsche Serienproduktionen und somit auch die Messlatte sehr hoch gesetzt.
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