(OT: „Die Unsichtbaren – Wir wollen leben“, Regie: Claus Räfle, Deutschland, 2017)
Man sollte eigentlich der Meinung sein, dass inzwischen schon so ziemlich jede Geschichte zum Zweiten Weltkrieg bzw. dem Dritten Reich erzählt wurde. So wichtig das Thema auch ist, so wenig es in Vergessenheit geraten darf: Es braucht schon irgendwo ein Alleinstellungsmerkmal, um sich aus der immer noch beträchtlichen Anzahl an Filmen dazu hervorzutun. Das bekam kürzlich auch Die Frau des Zoodirektors zu spüren. Trotz eines internationalen Casts mit Jessica Chastain und Daniel Brühl, trotz schöner Kulissen, trotz einer großen Geschichte – das Interesse an dem Film war gering. In den USA floppte das Drama, der deutsche Kinostart wurde kurzfristig wieder einkassiert. Das mag auch daran gelegen haben, dass der Film sehr mutlos war und dachte, die Heldentat der Protagonistin allein wäre schon ausreichend, um das Publikum zu fesseln.
Die Unsichtbaren – Wir wollen leben geht da einen etwas anderen Weg. Regisseur und Co-Autor Claus Räfle kommt ja eigentlich aus dem Dokubereich. Und so ganz möchte er sich bei seinem neuesten Werk auch nicht davon verabschieden. Anstatt die wahren Geschichten einfach nur nachzuerzählen oder in Interviews aufzubereiten, machte er aus ihnen lieber kleine Spielfilmvignetten. Auch das kennt man aus diesem Bereich: Wenn ein lang zurückliegendes Ereignis veranschaulicht werden soll, kommen oft Schauspieler zum Einsatz, welche die Szenen nachstellen sollen. Im Unterschied zur Konkurrenz sind es hier aber vier professionelle Darsteller: Max Mauff (Victoria), Alice Dwyer (Ma Folie), Ruby O. Fee (Zazy) und Aaron Altaras. Die sind zwar tendenziell etwas zu alt für die Figuren, die sie verkörpern sollen, bringen dafür aber jede Menge Erfahrung mit.
Die große Geschichte kleiner Schicksale
Es ist aber nicht nur die Verknüpfung von Doku und Spielfilm, welche Die Unsichtbaren hervorhebt – die Szenen werden immer wieder von Interviews unterbrochen. Es ist auch der Inhalt selbst. Die Geschichten großer Retter wird im Kino gerne immer wieder erzählt, siehe besagtes Die Frau des Zoodirektors oder Schindlers Liste. Geschichten großer Helden. Die Protagonisten hier waren das nicht. Vielmehr wird erzählt, mit welchen Tricks die vier jungen Juden ihrem Schicksal damals entkommen sind. Sie sind die, die Glück hatten, die sich verstecken konnten. Die vielleicht im richtigen Moment der richtigen Person begegnet sind.
Ruth Arndt (Ruby O. Fee) landete beispielsweise bei einem NS-Offizier, der sich wohl bewusst war, dass er eine Jüdin versteckte, sie aber nie verriet. Das gilt auch für die Vermieterin von Cioma Schönhaus (Max Mauff), die sich der Meldepflicht für Mieter widersetzte und somit sein Leben rettete. Dessen Geschichte ist die spannendste der vier, da auch die ungewöhnlichste. Erst entging er der Verfolgung, weil er in einer Fabrik arbeitete – und nur ein arbeitender Jude ist ein guter Jude. Später fälschte der Kunststudent Pässe und rettete anderen das Leben. Und doch wird er nicht als strahlender Held porträtiert. Er hatte einfach Spaß an der Tätigkeit, genoss das Geld, das er dafür bekam, baute zwischendrin zweimal richtig Mist – war einfach nur ein Mensch in einer Zeit, in der er kein Mensch sein durfte.
Zwischen Kampf und Trauer
Die emotionalste Geschichte wiederum betrifft Hanni Lévy (Alice Dwyer), die als Waisenkind oft ziellos durch die Stadt irrte, sich die Haare blond färbte und umbenannte, um nicht aufzufallen. Die gerade deshalb unsichtbar blieb, weil sie sich nicht versteckte, sondern zu einem anderen Menschen wurde. Die Frage nach Identität wird hier mehrfach gestellt. Rührend, wenn nicht gar herzzerreißend, wird es, wenn sie bei einer Filmvorführerin Unterschlupf findet, die ihren Mann verloren hat und im Begriff ist, nun auch noch ihren Sohn zu verlieren. Abgerundet wird das Quartett durch Eugen Friede (Aaron Altaras), der sich anfangs bei Freunden seines Vaters versteckt und später im Widerstandskampf mitmischte.
Viel Stoff also, den Räfle da in 110 Minuten packt. Leider scheint er, der Kraft desselben aber nicht so ganz getraut zu haben, und entschied sich daher, ihn auch noch theatralisch verpacken zu wollen. Vor allem die furchtbar dramatische Musik lenkt eher vom Geschehen ab, als dass sie dieses unterstützen würde. Aber auch die eine oder andere Szene bzw. die Dialoge lassen Natürlichkeit vermissen: Der Film wirkt da unnötig künstlich, was angesichts der wahren Schicksale kontraproduktiv ist. Dennoch ist Die Unsichtbaren – Wir wollen leben sehr sehenswert, weil die aufwendig rekonstruierten, weitestgehend voneinander unabhängigen Schicksale an die 7000 in Berlin untergetauchten Juden erinnern, als diese 1943 offiziell für judenfrei erklärt wurde. Keiner von den vieren hat Geschichte geschrieben. Aber sie sind Teil einer Geschichte, über die es sich am Ende eben doch noch zu reden lohnt.
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