(OT: „Félicité“, Regie: Alain Gomis, Frankreich/Belgien/Senegal/Deutschland/Libanon, 2017)
Félicité (Véro Tshanda Beya) ist eine Frau, die sich von anderen nicht so leicht etwas vormachen lässt. Sie ist es gewohnt zu bestimmen, ihr Leben komplett im Griff zu haben. Doch als ihr Sohn einen schweren Motorradunfall erleidet und nur eine sündhaft teure Operation sein Bein noch retten kann, gibt es für sie keinen Stolz mehr. Die Sängerin ist fest entschlossen, alles zu tun, um das Geld aufzutreiben. Sie schaut bei Freunden vorbei, bei Menschen, die ihr noch etwas schuldig sind, auch bei völlig Fremden – Hauptsache die Summe kommt zusammen. Sie schreckt nicht einmal davor zurück, Leute aus ihrem Umfeld vor den Kopf zu stoßen.
Félicité ist sicher einer der ungewöhnlichsten Filme, die dieses Jahr einen regulären Kinostart in Deutschland erfahren haben. Ungewöhnlich nicht der Geschichte wegen, die zumindest teilweise im Alltag verhaftet ist. In einem sehr banalen Alltag, in dem Kühlschränke nicht funktionieren, Kinder nicht mit ihren Eltern sprechen, auch Ehepaare einfach nicht miteinander konnten. Ungewöhnlich ist die afrikanisch-europäische Coproduktion, weil sie sich den üblichen Strukturen eines Dramas verweigert, einer herkömmlichen Dramaturgie.
Zwei Filme in einem
Ein Film soll einen direkt zum Einstieg packen, darf zwischendurch etwas ruhiger werden, um gegen Ende hin die Spannungskurve stark ansteigen zu lassen. Félicité ist anders. Félicité ist aber auch mehr als ein Film, er ist zwei in einem. Die erste Hälfte beschäftigt sich mit dem Versuch, das Geld aufzutreiben, die zweite handelt von dem normalen Leben, welches sich an die schreckliche Episode anschließt. Die meisten Zuschauer werden wohl mit der ersten mehr anfangen können, da hier zum einen ein festes Ziel verfolgt wird, zum anderen auch die intensiveren Momente warten.
Sie sei immer so stolz gewesen, muss sich Félicité anhören. So sehr darauf bedacht, unabhängig zu sein. Es ist dann auch gleichermaßen faszinierend, imposant und traurig, wie sehr sie sich hier erniedrigt, zum Wohle ihres Sohnes. Eines Sohnes wohlgemerkt, der sich wenig um sie schert. Félicité wird hier zu einem Denkmal an alle Mütter, die sich aufopfern für die eigenen Kinder. Richtig sympathisch ist die Frau vielleicht nicht, dafür ist sie dann doch etwas zu dominant und rücksichtslos. Fesselnd ist die Figur dennoch, oder auch gerade deshalb: Newcomerin Véronique Beya Mputu verkörpert die Löwin in Menschengestalt als eine Frau mit vielen Ecken und Kanten.
Ein reizvolles Geduldsspiel
Was später folgt, ist sehr viel ruhiger, aber auf seine eigene Weise ebenfalls reizvoll. Wie lebt es sich im Anschluss, nachdem der Stolz gebrochen wurde und die eigenen Grenzen sichtbar wurden? Da sind rührende Szenen dabei, witzige, traurige. Und Musik natürlich. Die leidenschaftlichen Auftritte waren schon während der ersten Hälfte dabei, halten den Film auch dann noch zusammen, wenn gar nicht mehr klar ist, wovon er denn nun handelt. Ein Geduldsspiel ist das schon, am Ende dauert der Gewinner des Silbernen Bären bei der Berlinale 2017 über zwei Stunden. Und das kann eine ganze Menge sein, wenn auf einen roten Faden verzichtet wird, unzusammenhängende Situationen eine reguläre Handlung ersetzen. Aber es ist ein Geduldsspiel, das doch immer wieder belohnt wird, auch durch die schönen Bilder: Villen und Slums, Licht und Dunkel – hier wird viel auf Kontraste gesetzt, so wie eben auch inhaltlich der Film umherwandert, mal hier, mal dort Halt macht.
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