(OT: „God’s Own Country“, Regie: Francis Lee, UK, 2017)
Spaß am Leben? Nein, den hat Johnny Saxby (Josh O’Connor) schon seit Längerem nicht mehr. Nur widerwillig hilft er auf der Schaffarm seiner Familie. Die Arbeit ist hart, umso mehr seit dem Schlaganfall seines Vaters Martin (Ian Hart). Das Verhältnis zu ihm wie auch zu seiner distanzierten Großmutter Deirdre (Gemma Jones) ist ebenfalls zerrüttet. Ablenkung findet der 24-jährige nur in den Bars, in denen er sich regelmäßig betrinkt und schnellen, anonymen Sex hat. Als der rumänische Saisonarbeiter Gheorghe (Alec Secareanu) auf der Farm anfängt, bedeutet das für Johnny nur ein weiteres Opfer für seine Verachtung gefunden zu haben. Doch je mehr Zeit die beiden miteinander verbringen, umso stärker werden die Gefühle zwischen ihnen, bis sich Johnny fragen muss: Was genau will ich eigentlich von meinem Leben?
Das Leben von englischen Bauern muss richtig hart sein, zumindest wenn man Filme als Referenzmaterial herhält. In The Levelling kehrt eine junge Frau zur Farm ihres Vaters zurück, die nach den Überschwemmungen und dem Selbstmord des Sohns vor dem Aus steht. In God’s Own Country wird der finanzielle Aspekt zwar nicht angesprochen. Wie viele Entbehrungen ein solches Leben nach sich zieht, ist aber in jeder Einstellung zu sehen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Oberhaupt der Familie durch seine Erkrankung nicht mehr viel tun kann. „Schön ist es hier“, sagt Gheorghe anfangs. Schön ist in dem Leben der drei Familienmitglieder aber so gut wie gar nichts.
Im Mittelpunkt: eine schwierige Liebe
Anders als bei The Levelling, das viel von Familiendynamik und Erwartungen handelte, konzentriert sich Regisseur und Drehbuchautor Francis Lee in erster Linie auf die vorsichtige Annäherung der beiden jungen Männer. Dass Johnny schwul ist, wird in der Familie beispielsweise praktisch gar nicht thematisiert. Der Hauptkonflikt liegt bei den Saxbys wohl eher darin, dass die Arbeit auf der Schafsfarm viel von dir verlangt, worauf Johnny aber eigentlich keine Lust hat. Eine Alternative ist jedoch nicht in Sicht, man erfährt nicht, was er denn lieber machen würde – von Alkohol und Sex einmal abgesehen.
Allgemein sind die Figuren nicht unbedingt die Stärke von God’s Own Country. Zwischenmenschliche Interaktion besteht hier in erster Linie aus Anfeindungen – manche wörtlich, andere eher durch Körpersprache. Dass Johnny ein Mistkerl ist, wird gleich zu Beginn festgelegt, mehr als das bekommen wir nicht. Bei seinen Familienmitgliedern sieht es nicht besser aus, ihr Arbeitsalltag ist so fordernd, dass für ein persönliches Drumherum wenig Platz bleibt. Und auch Gheorghe ist nicht unbedingt mit einer starken Charakterisierung gesegnet: Er ist freundlich, bescheiden, kompetent, eigentlich viel zu gut für den durch und durch negativen Johnny. Und eben auch ein bisschen langweilig.
Authentizität in der rauen Natur
Das ist meistens eine ganz schlechte Voraussetzung, um eine Liebesgeschichte erzählen zu wollen. Figuren ohne echte Charaktermerkmale, eine davon ein richtiges Arschloch. Warum sollte man das sehen wollen? Und doch ist God’s Own Country deutlich sehenswerter, als sich das anhört. Der Wind pfeift, die Gegend ertrinkt im Schlamm, man fühlt sich hier als Zuschauer, als wäre man selbst in der vergessenen Einöde Englands unterwegs – vergleichbar zu Wuthering Heights von Andrea Arnold, das ebenfalls in Yorkshire spielt. Dieses starke Gefühl von Authentizität wird aber auch durch die Farmarbeit erzeugt: Lee ließ seine Hauptdarsteller vor Drehbeginn vor Ort lernen, was das Leben auf dem Land bedeutet. Und man nimmt ihnen auch ab, was sie da tun, teilweise mutet der Spielfilm wie eine „echte“ Dokumentation an.
Ohnehin haben die Darsteller einen großen Anteil daran, dass inhaltliche Schwächen wie besagte Figuren oder auch der sehr formelhafte, vorhersehbare Plot nicht so schwer ins Gewicht fallen. Gerade die Annäherung der beiden Männer, zwischen Zärtlichkeit und Brutalität schwankend, hat nur wenig mit dem zu tun, was wir in Romanzen sonst so zu sehen bekommen. Sex darf hier noch dreckig sein, körperlich, sinnlich – so wie der Film insgesamt sehr sinnlich ist. Nur dass das hier eben nicht Kerzen, rote Rosen oder Sonnenschein bedeutet, sondern menschenleere Hügel, Gewalt im Schlamm, tote Schafe und verhärtet-verbitterte Menschen, die sich eher die Zunge abbeißen würden, als mal über Gefühle zu reden.
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