Loving Vincent
© Weltkino

(OT: „Loving Vincent“, Regie: Dorota Kobiela/Hugh Welchman, Polen/UK, 2017)

Loving Vincent
„Loving Vincent“ läuft ab 28. Dezember 2017 im Kino

Ein Jahr ist der Maler Vincent van Gogh (Robert Gulaczyk) bereits schon tot, da fällt dem Postmeister Joseph Roulin (Chris O’Dowd) ein Brief des Verstorbenen in die Hände, den dieser für seinen Bruder Theo geschrieben hatte. Fest entschlossen, diese letzte Nachricht nicht unerhört zu lassen, beauftragt er seinen Sohn Armand (Douglas Booth), diesen Brief zu überbringen. Da aber auch Theo bereits verstorben sind, geht Armands Reise weiter: Auf der Suche nach Antworten lernt er den Arzt Dr. Gachet (Jerome Flynn) und dessen Tochter Marguerite (Saoirse Ronan) kennen, aber auch Adeline Ravoux (Eleanor Tomlinson), in deren Gasthaus van Gogh zuletzt gelebt hatte.

Es ist jedes Jahr dasselbe Spiel: Wenn die Nominierungen für den Oscar als bester Animationsfilm des Jahres bekannt gegeben werden, läuft es eigentlich immer auf einen Zweikampf zwischen Disney und Pixar hinaus. Und wo dieser fehlt, weil eines der beiden Studios keinen Film in dem Jahr veröffentlicht hat, bekommt eben der automatisch die Statue. Siehe 2017: Viele gehen davon aus, dass Coco – Lebendiger als das Leben schon jetzt gewonnen hat, obwohl er noch von den wenigsten gesehen wurde. Die Einseitigkeit dieser Sparte kann man als Running Gag empfinden, oder auch als Respektlosigkeit. Schließlich bleiben jedes Jahr Filme auf der Strecke, die sich künstlerisch sehr viel mehr um das Thema Animation verdient gemacht haben.

Ein unglaubliches Seherlebnis
Loving Vincent wird bei der nächsten Verleihung zumindest eine Außenseiterchance eingeräumt, denn visuell ist es (fast) einmalig, was hier geleistet wurde. Anstatt Vincent van Gogh ein normales Real-Biopic zu widmen, wurde der komplette Film im Stil seiner Bilder umgesetzt. Genauer wurden tatsächliche Gemälde von ihm genommen und animiert. Die Figuren wiederum wurden von echten Darstellern gespielt, diese Aufnahmen anschließend in mühseliger Arbeit übermalt. Das Ergebnis ist eine interessante Kreuzung aus den Porträts, die van Gogh angefertigt hatte, und den Gesichtern der Schauspieler – Booth (The Limehouse Golem) und Ronan (Grand Budapest Hotel) sind beispielsweise auch als Bild noch deutlich zu erkennen. Das ähnelt vom Prinzip her dem Rotoskopie-Verfahren, in dem Realaufnahmen nachgezeichnet wurden. Auf diese Weise lassen sich täuschend echte Animationen schaffen, die wie bei Aku no hana – Die Blumen des Bösen schon fast zu echt und damit unheimlich sind.

Auch Loving Vincent ist ein wenig gewöhnungsbedürftig. Wo in anderen Animationsfilmen beispielsweise Hintergründe und Figuren klar voneinander getrennt sind, verschwimmen hier die Grenzen. Schon der Russe Alexander Petrov hatte mit dem Stil sich bewegender Gemälde experimentiert. Wer etwa dessen preisgekröntes The Old Man and the Sea kennt, dem wird das hier bekannt vorkommen. Bei Loving Vincent war der Aufwand aber noch einmal deutlich größer: Gleich 125 Maler waren mehrere Jahre beschäftigt, um basierend auf den Meisterwerken des Künstlers eine Geschichte zu erzählen.

Inhalt? Nebensache
Die Geschichte selbst ist deutlich weniger erwähnenswert als die Umsetzung. Dorota Kobiela und Hugh Welchman setzen nach dem Tod des Malers an und versuchen anhand der bis heute etwas rätselhaften Umstände den Menschen van Gogh zu rekonstruieren. Das gibt dem Film teilweise ein leichtes Krimiantlitz, schließlich werden auch diverse Mordhypothesen abgearbeitet. Trotz der fiktiven Handlung um Armand wollten sich die Polin und der Brite dann aber doch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Der Verschwörungscharakter ist eher vorgeschoben, soll etwas künstlich für Spannung sorgen, während am Ende doch nur Binsenweisheiten rausspringen. Besser ist es um die leichten Coming-of-Age-Elemente bestellt, schließlich wird auch viel von Berufung die Rede sein. Aber auch von Verantwortung. Wie viel bestimme ich über mein Leben? Wie viel sollte ich von anderen abhängig machen? Das ist nicht neu, aber doch ganz schön, manchmal auch nachdenklich stimmend.

Aber auch wenn der Inhalt insgesamt neben den Bildern verblasst, so gehört Loving Vincent doch zu den außergewöhnlichsten Filmen, die dieses Jahr das Licht der Erde erblickt haben. Umso schöner ist, dass die britisch-polnische Produktion nach der Weltpremiere auf dem Annecy Animationsfilmfest 2017 Ende des Jahres auch regulär in die deutschen Kinos kommt. Wer nicht so lange warten mag und in der Nähe von Leipzig wohnt, darf sich freuen: Loving Vincent ist dort die Tage schon knapp zwei Monate vor Kinostart im Rahmen des Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm zu sehen.



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Rein visuell ist „Loving Vincent“ ein Ausnahmefilm, den man gesehen haben muss. In mühseliger Kleinstarbeit erweckten 125 Maler und einige Schauspieler eine Reihe von Gemälden von Vincent van Gogh zum Leben. Inhaltlich ist das weniger spektakulär, aber immer noch sehenswert: Die Suche nach dem Menschen van Gogh ist mit Krimi- und Coming-of-Age-Elementen gespickt, die zwar nicht viel bringen, aber doch noch die eine oder andere Frage stellen.
8
von 10