(OT: „Neruda“, Regie: Pablo Larraín, Chile/Argentinien/Frankreich/Spanien, 2016)
Nein, eine richtig gute Meinung hat Pablo Neruda (Luis Gnecco) nicht unbedingt von dem chilenischen Präsidenten Videla (Alfredo Castro). Zwar hat er diesen wie alle anderen auch gewählt. Aber das war ein großer Fehler, wie er jetzt zu verstehen gibt, Vileda habe sein Volk verraten und müsse weg. Der lässt sich diese Anfeindungen natürlich nicht gefallen und macht den Jäger zum Gejagten: Der Dichter und Politiker wird entmachtet und soll ins Gefängnis geworfen werden. Noch bevor es dazu kommt, wollen Neruda und seine Frau Delia del Carril (Mercedes Morán) das Land verlassen. Polizist Peluchonneau (Gael García Bernal) will genau das verhindern und ist den beiden schon dicht auf den Fersen.
Wenn es um filmische Aufbereitung ungewöhnlicher Realpersonen geht, dann ist Pablo Larraín sicher einer der besten seines Faches. In ¡No! brachte uns der chilenische Filmemacher stilistisch eigenwillig die Werbekampagne näher, mit der die Schreckensherrschaft von Pinochet ihr Ende nahm. In Jackie zeigte er uns eine unbekannte Seite von Jackie Kennedy während ihrer letzten Stunden als Präsidentengattin. In Neruda nimmt er sich nun einer absoluten Ikone seines Landes an, Pablo Neruda. Der ist zwar mehr für seine Poesie bekannt, erhielt sogar 1971 den Nobelpreis für Literatur. Der bekennende Kommunist machte jedoch auch immer wieder politisch von sich reden.
Geschichtsstunde mal ganz anders
Ein Mann für ein Denkmal also. Aber wer die letzten Filme von Larraín gesehen hat – die beiden obigen Biopics und das Missbrauchsdrama El Club –, der konnte vorher schon ahnen, dass der Regisseur und Drehbuchautor seine ganz eigene Sicht der Dinge mit sich bringen würde. Zunächst einmal ist sein Titelheld nicht unbedingt Heldenmaterial. Während dessen Kampf gegen den Präsidenten zunächst noch Respekt abringt, verwandelt er sich in den folgenden 100 Minuten in einen eher weniger liebenswürdigen Gesellen. Selbstverliebt, arrogant, der Realität völlig entzogen. Er möchte von der Polizei verfolgt werden, sein Ego verlangt es, ohne aber natürlich geschnappt zu werden. Gefängnis? Das passt nicht zu seinem ausschweifenden Lebensstil. Der wiederum passt nicht zu dem von ihm verordneten Gedankengut, das sich des kleinen Mannes annehmen will, ohne aber mit dessen Leben etwas zu tun zu haben.
An mehr als einer Stelle wird Neruda sogar zu einer Art Witzfigur. Wobei schwer zu sagen ist, ob es an der Figur selbst liegt oder an dem generell ironischen Ton des Films. Die ganze Verfolgung des Künstlers wird zu einer Farce. Auch Polizist Peluchonneau hat wenig von den Gesetzeshütern, die wir in solchen Fällen zu Gesicht bekommen. Auch er neigt zum Schwärmen, verliert sich während der Geschichte zwischen Kunst und Realität. So sehr ist er an Neruda gekettet, den Mann, den er verfolgt, dass er gleichermaßen von ihm abhängig wird. Er existiert nur, weil es Neruda gibt, ist nicht mehr als eine Nebenfigur in der Biografie des Poeten.
Tragik der Kunst, Kunst der Tragik
Das macht aus ihm eine sehr tragische Figur. Er sehnt sich nach Anerkennung, wenigstens nach einem Namen, damit auch er von Bedeutung ist. Die Grenzen zwischen Kunst und Realität verschwimmen, zwischen Kult und Geschichte. Existiert Peluchonneau überhaupt oder ist er eine Erfindung von Neruda? Die südamerikanische Literatur hat eine lange Tradition des sogenannten magischen Realismus, in der es keine Unterscheidung mehr zwischen der Welt da draußen und der Welt in unserer Vorstellung gibt. Das passiert auch in Neruda, wo edle, braunlastige Bilder mit Voice-Over-Monologen unterlegt sind, Biopic und Fiktion eins geworden sind, Träume und Konzentrationslager Hand in Hand gehen. Das ist weniger dazu geeignet, etwas über den Menschen Neruda zu erfahren oder auch geschichtliche Fakten. Neruda geht tiefer, macht es sich in der Psyche des Landes gemütlich, lässt uns an Sehnsüchten teilhaben, vor allem der nach Helden, uns in einem Katz-und-Maus-Spiel verlieren, bis wir am Ende nicht einmal mehr wissen, wer wir selbst sind.
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