(OT: „Sarah joue un loup garou“, Regie: Katharina Wyss, Deutschland/Schweiz, 2017)
Sarah (Loane Balthasar) liebt es, auf der Bühne zu stehen, sich dort in einen anderen Menschen zu verwandeln, dabei etwas ganz Neues zu erschaffen. Dass sie dabei gern mal aneckt, sowohl bei ihrer Lehrerin (Sabine Timoteo) wie auch den Mitschülern, stört sie nicht weiter. Sie will mehr. Ihre Liebe zur Kunst teilt sie mit ihrem Vater Raphaël (Michel Voïta). Denn auch er glaubt an die alles verzehrende Liebe, wie sie in den Opern heraufbeschworen wird. Ihre Mutter Monica (Manuela Biedermann) ist da eher nüchtern. Sie wäre ja schon froh, wenn es daheim wieder ein normales Familienleben gäbe. Doch das ist von Konflikten geprägt, gerade auch weil Sarah sich immer weiter zurückzieht.
Warum Julia den Dolch von Romeo ergriff, um sich zu töten, will die Lehrerin wissen. Die anderen Schüler wissen keine rechte Antwort, sind ohnehin der Ansicht, dass „Romeo und Julia“ viel zu kitschig für die heutige Zeit sei. Wer würde sich heute denn noch umbringen für die Liebe? Nur Sarah gibt eine Antwort: Julia wollte Romeo in sich spüren, auf diese Weise im Tod vereint sein. Es ist nur eine kurze Szene, aber doch eine, in der Sarah spielt einen Werwolf auf den Punkt bringt, weshalb Sarah nirgends hineinpasst. Sie ist schwärmerisch, will eine Liebe, die stärker ist als alles, ist seltsam aus dem hier und jetzt gefallen. Und: Sie ist fasziniert vom Düsteren, Morbiden. Dem Tod.
Ratlos im Leben gefangen
Immer wieder wird sie von dem Tod reden. Von Menschen, die angeblich gestorben sind. Die im Begriff seien zu sterben. Oder die sich das Leben nehmen wollen. Wie Sarah auch. Es ist der letzte Schritt, die letzte Sehnsucht, um einem Leben zu entkommen, das nicht ihres ist. Das ist ein Gefühl, das wir alle irgendwann mal gehabt haben. Oder haben werden. Das Gefühl, dass wir nicht in dem Leben sind, das wir haben sollten. So konkret Sarahs ausgedachte Geschichten sind, so wenig weiß sie jedoch, was mit ihrem Leben nicht stimmt. Mal wünscht sie sich, endlich einmal in Ruhe gelassen zu werden. Dann wiederum klagt sie, dass sie niemand versteht.
Nein, leicht ist die 17-Jährige nicht. Vielmehr zeigt Regisseurin und Co-Autorin Katharina Wyss bei ihrem Abschlussfilm, wie kompliziert und düster die Welt eines jungen Menschen sein kann – für die Betroffenen, wie für das Umfeld. Das macht Sarah Plays a Werewolf mitunter ziemlich anstrengend. Leise Momente gibt es selten, auch nur wenig Einsicht. Dafür Drama, viel Drama. So unglücklich ist Sarah, dass die unentwegt provoziert und sich mit anderen Menschen anlegt. Sie will weh tun, so wie ihr die Welt weh getan hat.
Die Familie als Ort unerklärlichen Grauens
Mögliche Erklärungen für ihr Verhalten liefert der Film mehrfach: der heißgeliebte Bruder, der ausgezogen ist, der despotische, übergriffige Vater. Kaum eine Beziehung in der Familie scheint normalen Mustern zu folgen. Alles ist schief, verzerrt, falsch, verstörend kaputt sogar. Manchmal meint man, in einem Horrorfilm gelandet zu sein, so sehr wird hier mit seelischen Abgründen gespielt. Nur dass der Werwolf eben keine Sagengestalt ist, die nachts Opfer sucht. Das Monster steckt hier, mitten unter uns. Der Albtraum ist die Zeit als Teenager.
Das Ganze ist ein bisschen zu lust- und schmerzvoll übertrieben, als dass es sich noch so wirklich menschlich anfühlt. Das ist teils durch die fließenden Übergänge zwischen Leben und Kunst bedingt, die es erschweren, beides voneinander zu trennen. Das liegt auch an den Dialogen, die nicht so ganz dem natürlichen Sprachrhythmus folgen. Da wird mittendrin thematisch abgebogen, Sätze folgen nur chronologisch aufeinander, nicht weil sie sich auseinander ergeben würden. Und das ist bedauerlich. Sarah Plays a Werewolf, der seine Premiere auf den Filmfestspielen in Venedig feierte, steckt voller Leben, Gewalt und Kraft. An einigen Stellen könnte man gar Angst haben vor ihm und der zerstörerischen Wut Sarahs. Richtig viel Anschluss findet man dort jedoch nicht. So hilflos wie die Mutter vor dem seltsamen Gebaren ihrer Tochter steht, so hilflos schaut man auch als Zuschauer auf das düstere Treiben auf Bühne und Leinwand.
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