(OT: „Sommerhäuser“, Regie: Sonja Kröner, Deutschland, 2017)
Es ist feste Tradition bei ihnen: Jeden Sommer fahren Bernd (Thomas Loibl) und Eva (Laura Tonke) zu Oma Sophie, um den Sommer in ihrem Garten zu verbringen. Doch dieses Jahr steht unter keinem Stern. Sophie ist vor Kurzem gestorben, ausgerechnet am Tag der Beerdigung schlägt auch noch ein Blitz in den Baum ein. Dennoch geht es weiter wie bisher. Auch Bernds Schwester Gitti (Mavie Hörbiger) ist da, mit der Eva schon seit Längerem über Kreuz liegt. Jetzt, da Sophie weg ist, geht zudem das Geschacher los, was mit dem riesigen Grundstück geschehen soll. Während beispielsweise Ilse (Ursula Werner) sehr an dem Vermächtnis ihrer Mutter hängt, ist ihre Schwester Mathilde (Inge Maux) sehr viel weniger nostalgisch veranlagt. Und auch Erich (Günther Maria Halmer), Bruder der beiden und Vater von Bernd, liebäugelt mit dem Verkauf – angestachelt von seiner Frau Frieda (Christine Schorn). Als wäre die Stimmung nicht ohnehin schon düster genug, treibt ein Kindesentführer derzeit sein Unwesen. Und der Nachwuchs ist sich sicher: Der seltsame Nachbar war’s!
Deutsche Filme, die in den 70ern spielen, haben oft die RAF zum Thema In Sommerhäuser ist jedoch nicht viel Platz für Politik oder große Ideologien, dafür ist die Familie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wie ein Paradies ist der Garten, den Oma Sophie da ihren Kindern hinterlassen hat. Oder sieht danach aus. Nur am Rande bekommt man Nachrichten von der Außenwelt. Handys und Social Media gab es 1976 natürlich noch nicht, es läuft aber auch kein Fernseher, selbst das Radio bleibt meistens stumm. Die Zeitungsmeldungen zu den verschwundenen Kindern sind einer der wenigen Beweise, dass es sie überhaupt gibt, diese Außenwelt. Sie sind aber nur ein Teil der seltsam bedrohlichen Atmosphäre bei der Großfamilie. Das Donnergrollen eines bevorstehenden Gewitters. Oder die Wespenplage natürlich, die dieses Jahr irgendwie ganz besonders schlimm ist.
Der nichtige Alltag
Nichts davon wird in den 100 Minuten des Films wirklich im Mittelpunkt stehen. Weil es in Sommerhäuser keinen Mittelpunkt gibt, vom Garten vielleicht einmal abgesehen. Stattdessen hat Regisseurin und Drehbuchautorin Sonja Kröner hier ein Spielfilmdebüt abgeliefert, das gerade deshalb so bemerkenswert ist, weil wichtig und unwichtig nicht voneinander zu trennen sind. Weil sie so viel sagt, indem sie eigentlich nicht viel sagt. Wenn Eva beispielsweise gleich zu Beginn eine abfällige Bemerkung in Richtung ihrer Schwägerin bringt, ein einziger Satz, dann ist das nur die Spitze eines ganzen Eisberges voll unterdrückter Konflikte. Gleiches gilt für eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Schwestern Ilse und Mathilde, die ganz unterschiedliche Erinnerungen an die Mutter haben.
Manches von dem Eisberg wird mit der Zeit an die Oberfläche kommen. 1976, das Jahr, in dem Sommerhäuser spielt, war einer dieser Jahrhundertsommer: Bei nahezu tropischen Temperaturen bleibt hier nichts lange, wie es war. Ein Sonnenbad wird mit Verbrennungen enden, eine vielversprechende Romanze mit einem gebrochenen Herzen. Kontexte gibt Kröner nur selten. Selbst die Familienzusammengehörigkeiten, wer hier denn wie mit wem verwandt ist, selbst das bleibt zunächst ein Geheimnis. Vergleichbar zum französischen Kollegen Familientreffen mit Hindernissen wird man hier mitten hineingeworfen und ein wenig im Stich gelassen. Manches wird mit der Zeit klarer werden, man ahnt zumindest, was in den Jahren zuvor vorgefallen ist. Vieles bleibt aber unausgesprochen, das Publikum darf die fehlenden Punkte selbst ergänzen. Was manchmal lohnenswert, manchmal schade ist.
Ein virtuoses Zeit- und Familienporträt
Ein Film ohne klare Geschichte, ohne eindeutige Protagonisten, ohne Erklärungen, ja, sogar fast ohne Musik – das kann leicht danebengehen. Umso beeindruckender ist, mit welcher Virtuosität Sommerhäuser hier zu einem Familien- aber auch Zeitporträt wird. Die Dialoge sind authentisch, die 70er-Jahre Ausstattung makellos, auch an dem großen Ensemble gibt es keine Schwachpunkte – selbst die drei Kinderdarsteller Emilia Pieske, Elliot Schulte und Anne-Marie Weisz fügen sich harmonisch in die wenig harmonische Umgebung ein. Es ist eine Zeit des Umbruchs, die uns das Drama da aufzeigt. Eine Zeit, in der die Gesellschaft sich wandelt, alte Familienstrukturen aufbrechen. In der sich auch diese Familie langsam auflöst, jetzt wo Sophie weg ist, der Garten vielleicht auch bald. Auch deshalb ist die Stimmung hier oft etwas nostalgisch gefärbt. Wehmütig. Das riesige Grundstück, wie es sie heute kaum noch gibt, mehrere Generationen, die zusammen feiern und sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Sommerhäuser ist eine Erinnerung an etwas, das vergangen ist, in dem sich viele aber noch wiederfinden dürften. Das Ergebnis ist ein wunderbarer kleiner Film, der ohne große Stars und ohne großes Aufhebens so menschlich und lebensnah ist, als hätten wir hier tatsächliche Aufnahmen gefunden, die vor 40 Jahren einmal gemacht wurden.
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