(OT: Timm Thaler oder das verkaufte Lachen, Regie: Andreas Dresen, Deutschland, 2017)
Nach dem Tod seines Vaters (Bjarne Mädel) ist Timm Thaler (Arved Friese) alles andere als zum Lachen zumute. Da kommt der geheimnisvolle Baron Lefuet (Justus von Dohnányi) gerade recht, der ihm für sein Lachen die Gabe überträgt, jede Wette zu gewinnen. Sollte Timm einmal eine Wette verlieren, bekäme er sein Lachen von Lefuet zurück. Anfangs scheint das ein super Deal für Timm zu sein, doch mit der Zeit verliert er seine Lebensfreude und auch Freundin Ida (Jule Hermann) distanziert sich immer mehr. Als diese selbst einen Handel mit Lefuet eingeht, um ihre Klumpfüße loszuwerden, ahnt Timm immer noch nicht, mit wem er sich eingelassen hat.
Logik ist eine sehr simple Sache, die sehr viele Leute nicht verstehen. Filme können sich die Freiheit herausnehmen, eine interne Logik zu kreieren, nach der Dinge in diesem Film funktionieren. Wenn der Film das gut macht und der Zuschauer die Gegebenheiten akzeptiert, spricht man von erfolgreicher suspension of disbelief. Vorwürfe der Unlogik kommen nur dann auf, wenn der Film seine interne Logik nicht überzeugend verkauft. Timm Thalers Lachen ist laut, hell, fröhlich und vor allem eines – ansteckend. Das wird mehrmals im Film etabliert. Mit deshalb wird Lefuet ja überhaupt erst auf Timm aufmerksam und will dieses Lachens habhaft werden. Sobald er es sich angeeignet hat, scheint die ansteckende Wirkung ohne jede Erklärung vergangen zu sein. Zwar gibt es eine Szene, in der viele Leute mit ihm lachen, das ist aber eher das gezwungene „der Boss hat einen Witz gemacht“-Lachen.
Warum einfach, wenn es auch umständlich geht?
Dass Timm nicht einfach wettet, dass er sein Lachen zurückerhält (gewinnt er die Wette, erhält er es zurück; verliert er sie, erhält er es aufgrund der entsprechenden Vertragsklausel zurück), schob ich zunächst – abgesehen von einer äußeren Notwendigkeit, da der Film ansonsten sofort wieder vorbei wäre – darauf, dass diesem zwölfjährigen Kind vielleicht nicht die geistige Kapazität zugetraut werden kann, diese logische Hintertür im Vertrag ad hoc zu durchschauen. Später allerdings, als Timm bemerkt, dass Ida ihre Augen im Tausch gegen gesunde Füße verkauft hat, wettet er mit der Gewissheit eines Logikprofessors darum, dass Ida ihre Augen wiederbekommt. Dass er nicht spätestens an dieser Stelle merkt, dass es bei ihm und seinem Lachen ganz genau so funktionieren muss, ist ein reines Plothole. Auch ein junges Publikum muss an dieser Stelle in der Lage sein, diese Transferleistung zu erbringen. Sogar Ida hätte es auffallen müssen, da Timm davon spricht, dass sie ihre Augen verkauft habe – somit scheint er Lefuet zu kennen und um seine Verträge zu wissen.
Zu einem späteren Zeitpunkt im Film berichtet der Timm zum Freund gewordene Hotelangestellte Kreschimir (Charly Hübner) überschwänglich von seiner Idee für eine Wette, die ersterer zwingend verlieren muss: Timm solle wetten, reicher als der reichste Mann der Welt zu sein – das sei nämlich unmöglich. Dieser Vorschlag versöhnte mich erst mit der vorherigen Fehlleistung, hielt ich sie nun doch für ein Vehikel, um diesen recht klug erdachten Schachzug auszuspielen: Wettet Timm, reicher als der reichste Mann der Welt zu sein, wird er vertragsgemäß reicher als der reichste Mann der Welt – somit wird er zum reichsten Mann der Welt und folglich ist er nicht reicher als der reichste Mann der Welt. Weder Kreschimir noch Timm noch jemand im Publikum muss den Begriff contradictio in adiecto kennen, aber das ist nun mal was es ist.
Ein Plot auf Biegen und Brechen
Der Film scheint auch zuerst diesem Narrativ zu folgen, als nämlich die Polizei Timms Haus stürmt und ihn in Gewahrsam nimmt: „Er braucht Schutz, er ist jetzt der reichste Mann der Welt!“ Dadurch wird nochmals bestätigt, dass er nicht reicher als der reichste Mann der Welt ist. Als er in die Obhut seines Vormunds – natürlich Lefuet – übergeben wird, ändert dieser die Bedingungen der Wette schlichtweg eigenmächtig, indem er Timm wissen lässt, dass er nun „reicher als der reichste Mann der Welt zum Zeitpunkt deiner Wette“ ist. Die ursprüngliche Wette war aber nicht an einen Zeitpunkt gebunden. Die Polizei taucht danach übrigens auch nie wieder auf, anscheinend braucht Timm plötzlich keinen Schutz mehr, selbst wenn er sich beim „Timm Thaler Cup“ inmitten einer riesigen Menschenmenge bewegen muss.
Wer das alles für überflüssige Erbsenzählerei hält, dem sei gesagt, dass Kinder intellektuell nicht so unbedarft sind, wie Filmemacher oder Kritiker sich das manchmal vorstellen. Logische Ungereimtheiten in Kinderfilmen sind nicht okay, „weil es ja nur Kinderfilme sind“. Ansonsten bekäme jeder Kinderfilm eine 10/10. Die FSK hat den Film ohne Altersbeschränkung freigegeben. Anscheinend ist es heutzutage okay, einem Kind im Schutzalter einen Axel Prahl und einen in Frauenkleidung steckenden Andreas Schmidt zuzumuten, die davon reden, gerne einmal Sexualmagie praktizieren zu wollen. Eine völlig überflüssige Szene, die wohl für einen billigen Lacher bei Erwachsenen sorgen soll (und selbst dieses Ziel verfehlt), in einem Kinderfilm aber absolut nichts zu suchen hat.
Tolle Schauspieler und Inszenierung
Das mit Abstand Beste an Timm Thaler oder das verkaufte Lachen ist Justus von Dohnányi (Desaster, Frau Müller muss weg). Was die Performance angeht, spielt er in Deutschland generell ganz vorne mit, aber auch sein Kostüm ist hervorragend gelungen. Die ganze Figur Lefuet – ob nun Baron oder Xavier – ist erstklassig inszeniert. Da fällt es sogar leicht zu akzeptieren, dass sein Plan und vor allem sein Ende keinen Sinn ergeben. Für eine Kinderdarstellerin verkörpert auch Jule Hermann (Nebel im August, Till Eulenspiegel) sehr gut die Rolle der Ida und liefert damit vermutlich die national beste schauspielerische Leistung eines Kindes 2017 ab.
Timm Thaler oder das verkaufte Lachen behilft sich zuweilen mit Voiceover, was in diesem Falle einigermaßen okay ist. Erstens ist Joachim Król ein hervorragender Sprecher, zweitens handelt es sich im weitesten Sinne um ein Märchen, zu welchem nun mal ein Erzähler gehört und drittens begnügt sich das Voiceover damit, weiterführende Informationen zu vermitteln, statt das Gesehene zu wiederholen. Insgesamt schaffen es Regisseur Andreas Dresen und Drehbuchautor Alexander Adolph in ihrer Version von James Krüss‚ Roman, eine Welt zu kreieren, die Kindern gefallen wird.
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