(OT: „Dröm vidare“, Regie: Rojda Sekersöz, Schweden, 2017)
Warum lange warten? Kaum ist Mirja (Evin Ahmad) aus dem Gefängnis entlassen worden, da planen ihre Freundinnen schon den nächsten Coup. Gemeinsam wollen sie einen kleinen Laden ausrauben, um sich mit dem Geld anschließend abzusetzen. Weg aus dem erstickenden Vorort Schwedens, davon träumen die vier! Oder sie taten es zumindest. Langsam kommen Mirja aber doch Zweifel, ob das wirklich ihre Zukunft ist. Und so bewirbt sie sich stattdessen heimlich in einem Hotel, fest entschlossen, auch einmal richtiges Geld zu verdienen. Tatsächlich erhält sie ihre Chance und darf als Tellerwäscherin anfangen. Aber wird das wirklich für den Neuanfang reichen? Ihre kranke Mutter hat da ihre Zweifel. Und dann wären da ja noch Mirjas Freundinnen, die mit der Planänderung herzlich wenig anfangen können.
Letztes Jahr startete der Münchner Verleih Eksystent ein interessantes kleines Experiment: Femmes Totales. Insgesamt fünf Filme von weiblichen Regisseurinnen starteten zeitgleich in den Kinos und gingen anschließend auf größere Kinotour. Ein Zeichen in einer Filmlandschaft, die noch immer von Männern dominiert wird. Reine Quotenfilme waren die Werke jedoch zum Glück nicht: Ob es der fiebrige Thriller Hitzewelle war oder das amüsante Null Motivation – Willkommen in der Armee über Frauen im israelischen Militär, die Filme waren echte Bereicherungen in den deutschen Lichtspielhäusern. Das gilt auch für Träum weiter, der 2018 Teil der zweiten Tour sein wird.
Der ewige Kampf um den Neuanfang
Ganz so ungewöhnlich wie die Beispiele oben ist das schwedische Drama dabei nicht. Im Grunde läuft es auf die bekannte Geschichte hinaus, dass ein straftätiger Verlierer auf den rechten Weg zurück will. Die durften wir schon häufiger mal hören und sehen, beispielsweise in Zwischen den Jahren im Frühjahr. Hier ist es ausnahmsweise mal eine Frau, die dem Verbrecherleben auf Wiedersehen sagt. Überhaupt steht hier das „schwache“ Geschlecht im Vordergrund: Der einzige wichtige Mann im Ensemble ist der Hotelbesitzer, ansonsten setzen sich Arbeit, Familie und Freunde ausschließlich aus Frauen zusammen. Eine wirklich neue Perspektive gewinnt Regisseurin Rojda Sekersöz dem Szenario trotz der geballten Weiblichkeit jedoch nicht ab, der Film hält sich an die bewährte Dramaturgie.
Nur weil etwas bekannt ist, ist es jedoch nicht langweilig oder schlecht. Und das gilt glücklicherweise auch für Träum weiter. Was dem Film an Überraschungen mangelt, das gleicht er durch Energie und pures Leben wieder aus. Man muss die lärmenden Frauen anfangs nicht sympathisch finden, wie sie sich auf Kosten anderer ein schönes Leben machen wollen. Aber wie sich Mirja einen abmüht, großen Einsatz zeigt und auch vor wenig ruhmreichen Arbeiten nicht zurückschreckt, das ringt einem doch Respekt ab. Zumal das Drama auch immer wieder rührende bis witzige Momente einbaut: Mirja, wie sie einfach nur tanzt, sich von dem selbst verdienten Geld etwas leistet oder bei ihrer älteren Kollegin um Anerkennung kämpft.
Zwischen Selbst- und Fremdbestimmung
Am Ende bleibt dann aber doch die Frage: Können Menschen sich ändern? Dürfen sie das überhaupt? Träum weiter ist nicht nur ein Film über eine Frau, die ihr Leben in den Griff bekommen will, sondern auch mit Erwartungen zu kämpfen hat. Denn auch diese Erfahrung dürften viele gemacht haben: Wer erst einmal in einer Schublade gelandet ist, kommt nur schwer aus dieser wieder heraus. Dass sich Mirja von diesem Druck und den erwartbaren Misserfolgen nicht unterkriegen lässt, verleiht dem Drama echte Feel-Good-Qualitäten. Bis wir diese bundesweit spüren dürfen, wird es noch eine Weile dauern, der offizielle Kinostart ist für nächstes Frühjahr geplant. Festivalgänger haben dafür gleich zwei Möglichkeiten, schon jetzt Mirja die Daumen zu drücken: Träum weiter eröffnet am 1. November als Deutschlandpremiere die Nordischen Filmtage in Lübeck und läuft kurze Zeit drauf auf dem Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg.
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