(OT: „X“, Regie: Rintaro, Japan, 1996)
Ein seltsamer Traum ist es, der Kamui wieder zurück nach Tokio geführt. Seine verstorbene Mutter trat darin auf und bat ihn, zurückzukehren und seine Freunde zu beschützen. Aber wovor? Und wie? Kaum in der Großstadt angekommen, gesellen sich noch weitere Fragen dazu. Schließlich tauchen immer mehr Leute auf und versuchen, ihn für ihren Kampf zu gewinnen. Nicht irgendein Kampf. Ein Kampf, der das Schicksal der Menschheit entscheidet: Wenn es nach den Drachen der Erde geht, werden sämtliche Menschen getötet, um so der Welt eine Chance auf den Neubeginn zu geben. Die Drachen des Himmels wiederum wollen genau das verhindern und setzen alles daran, die Menschen zu beschützen. Für welche Seite wird sich Kamui am Ende entscheiden? Und welche Rolle spielt dabei sein alter Freund Fuma?
Es ist die Crux von Adaptionen längerer Mangareihen, dass die Zeit oft nicht ausreicht, um alles eins zu eins umzusetzen – Endlosserien wie One Piece oder Detektiv Conan einmal außen vorgelassen. Wie viel kann ich von der Geschichte weglassen, ohne dass das Ergebnis unverständlich wird? Wie sehr richte ich mich an Zuschauern aus, die die Vorlage vielleicht nicht gelesen haben? Wie problematisch das sein kann, das bewies vor einigen Jahren Tokyo Ghoul, das bei Fans des Mangas keinen besonders guten Ruf genießt. Zu sehr wurde dort verstümmelt und konzentriert, das Wesentliche aus den Augen verloren. Dass das aber noch eine ganze Spur extremer geht, das können all die bestätigen, die zuvor schon X gesehen haben, eine Umsetzung des gleichnamigen Mangas von Clamp.
Vorkenntnisse dringend erbeten
Dabei wurde der Anime von einem äußerst erfahrenen Mann inszeniert: Rintarô. Der hatte immerhin seinerzeit Galaxy Express 999 und Adieu Galaxy Express 999 gedreht, Filmversionen von Leiji Matsumotos Kult-Sci-Fi-Reihe. In denen hatte der Veteran bewiesen, dass er sich darauf versteht, lange Mangavorlagen in Filmform zu kondensieren. Bei X ist ihm das jedoch weniger geglückt. Wo die Reise mit dem intergalaktischen Zug ohnehin episodenhaft verlief, was sich für Ausschnitte gut eignet, handelt die Geschichte um den mit besonderen Kräften ausgestatteten Kamui von einer epischen Schlacht. Und eben diese zeigt der Film. Aber auch wirklich nur diese.
Einiges erschließt sich in den rund 100 Minuten natürlich für Neulinge. Dass es zwei Parteien sind, jede mit magischen Fähigkeiten gesegnet, dafür braucht es nicht viele Worte. Dass es auf den inzwischen zum Klischee gewordenen Kampf zwischen Bewahrung und Neuanfang hinausläuft, auch das wird ausreichend erklärt. Wer diese viele Figuren sind, die an diesem Kampf beteiligt sind, woher sie sich kennen, das bleibt jedoch ein Rätsel. Die beachtliche menschliche Materialschlacht, wenn später viele ihr Leben lassen müssen, bleibt daher für Außenstehende ohne größere Auswirkung. Als Zuschauer hat man viel zu wenig Zeit mit den Charakteren verbracht, um ihnen größere Emotionen entgegenzubringen.
Schöne Kämpfe von fremden Menschen
Wer nicht mit dem Manga vertraut ist, wird hier also eher verwirrt, wenn nicht gar frustriert. Vielleicht gar gelangweilt. Als Fan konnte man hier aber durchaus seinen Spaß haben. X nutzte die Möglichkeiten des Films, um die verschiedenen Kräfte der beiden Parteien schön in Szene zu setzen. Das erinnert wohl nicht ganz zufällig an die X-Men von Marvel: Da werden die Elemente beschworen, durch Träume gewandelt, ein Mädel befehligt auch einen großen Hund. Selbst ohne inhaltliche Beteiligung an dem Film sieht man doch ganz gern zu, wie hier einem Inferno das nächste folgt.
Dem Animationsstudio Madhouse (Wicked City, Pet Shop of Horrors) lässt sich hier auch nur wenig Vorwürfe machen. Mit den etwas uninspirierten Figurendesigns aus dem Hause Clamp – sehr spitze Kinns, große Kulleraugen – muss man sich abfinden können. Und natürlich sind auch die Effekte nicht mehr ganz state of the art – der Anime stammt immerhin aus dem Jahr 1996. Die Hintergründe sind dafür sehr schön geworden, erinnern ein wenig an selige 80er Verwandte. Insgesamt überzeugt der Film auch durch seine traumartige Atmosphäre, die manchmal ins surreale-alptraumhafte hinübergeht. Wem es hingegen stärker auf Geschichte und Figuren ankommt, der wird mit der einige Jahre später produzierten Serie wohl eher glücklich werden.
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