(„One Hundred and One Dalmatians“, Regie: Clyde Geronimi/Hamilton Luske/Wolfgang Reitherman, USA, 1961)
Eigentlich ist Pongo mit seinem Roger ja ganz glücklich. Nur dass der dauernd allein ist, will ihm nicht so recht gefallen. Ganz klar, ein Weibchen muss her! Und so beschließt der Dalmatiner-Rüde sein Herrchen mit in den Park zu schleppen, wo er die reizende Anita entdeckt hat. Und deren nicht minder reizende Dalamatiner-Dame Perdita natürlich. Nach einem etwas turbulenten Start läuten tatsächlich bald die Hochzeitsglocken, menschliche wie tierische. Mehr noch, die beiden Hunde bringen nicht weniger als 15 Welpen zur Welt! Das freut nicht nur alle im Haushalt, sondern auch Anitas alte Freundin Cruella De Vil. Denn die möchte die süßen Hundebabies am liebsten selbst haben, um sich aus deren Fell einen schönen neuen Mantel zu machen. Dass Anita und Roger den Nachwuchs nicht verkaufen wollen, stört Cruella nicht wirklich. Schließlich hat sie schon eine Idee, wie sie anderweitig an die begehrten Welpen kommt …
So schön Dornröschen im Jahr 1959 auch war, so sehr der Film heute als Klassiker gilt, in der Disney-Historie stellt er einen ziemlich dunklen Flecken dar. Denn anders als Schneewittchen und die sieben Zwerge und Cinderella enttäuschte die dritte Märchenadaption an den Kinokassen. Mehr noch, das kostspielige Werk führte beinahe dazu, dass die komplette Animationsabteilung dicht gemacht wurde. Glücklicherweise besann man sich aber eines Besseren und lieferte gleich zwei Jahre später den nächsten Versuch, an glorreiche Zeiten anzuknüpfen.
Viel Hund, viel Erfolg?
Dieses Mal schnappten sich die Animationsmeister kein altes Märchen, sondern ein relativ zeitgenössisches Buch der englischen Autorin Dodie Smith. Viel blieb von der Vorlage zwar nicht zurück, die Grundidee der Dalmatiner und der pelzliebenden Cruella De Vil wurde jedoch beibehalten. Tiere waren ja schon immer eine Stärke im Hause Disney gewesen. Mit dem Hundepack Susi und Strolch war dem Unternehmen sogar ein Kassenschlager geglückt. Da müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn das hier nicht auch klappen sollte – wo es doch gleich 101 Hunde gab, diverse Nebenfiguren nicht einmal mit einberechnet.
Ganz vergleichbar sind die beiden Filme – romantisch verpartnerte Hundeprotagonisten zum Trotz – dann aber doch nicht. Susi und Strolch lebte zunächst von der sehr naturgetreuen Darstellung der Vierbeiner. Bei Disney durften Hunde noch Hunde sein, die ein wenig an der komplizierten Menschenwelt scheitern. Der Charme lag dann auch darin, wie wir die Welt durch Hundeaugen sehen – zumindest am Anfang, bevor die beiden vermenschlicht werden. Bei 101 Dalmatiner versucht man erst gar nicht, Tiere als solche darzustellen. Von der Eingangssequenz an, wenn Pongo als Erzähler fungiert und Roger als sein ungeschicktes Haustier darstellt, ist klar: Mit Realismus hat es der Film nicht so.
Einfacher und überzeichnet
Dazu passt dann auch die visuelle Gestaltung des Hundeabenteuers. Anders als der nahe Verwandte, der mit ausschweifendem Detailreichtum ein optischer Hochgenuss war, ist 101 Dalmatiner deutlich simpler und stilisierter. Mit den dicken Strichen ähneln die Zeichnungen Zeitungscartoons, an manchen Stellen sogar Karikaturen. Auch das war der wirtschaftlichen Lage geschuldet: Um die Kosten zu senken, kam hier flächendeckend das Xerografie-Verfahren zum Einsatz. Anstatt wie bisher mit Tusche aufwendig auf Klarsichtfolie nachzuzeichnen, wurde von nun an kopiert. Das ging deutlich schneller, funktionierte aber nur mit schwarzen Strichen. Die gemäldeartigen Hintergründe gehörten damit der Vergangenheit an. Das ist einerseits schade, passt aber doch ganz gut zu einem Film, der von Überzeichnungen lebt – wortwörtlich. Hier durfte wieder mehr gelacht werden als in den vorangegangenen Disney-Werken.
Dass die gepunkteten Vierbeiner am Ende beim internen Hundewettstreit die Nase vorne haben, das liegt jedoch gar nicht mal so sehr an ihnen. Vielmehr ist es ein Mensch, der hier den Unterschied macht: Cruelle De Vil. Die trägt ihre Grausamkeit schon im Namen. Warum Anita mal mit ihr befreundet war, das verrät der Film nicht. Vielleicht stimmt es auch nicht wirklich. Was stimmt ist dass sie zu den ausdrucksstärksten Bösewichtern im Disney-Reich gehört. Kleine Hundewelpen zu ermorden, nur um daraus einen Pelzmantel zu machen: Man muss nicht Mitglied von Peta sein, um sich hier zu empören. Und auch kein schlechter Mensch, um von ihrer lustvollen Bösartigkeit begeistert zu sein. Dass die Geschichte eher etwas dünn ist und fast völlig auf die gewohnten Lieder verzichtet wurde, ist da fast schon Nebensache. Schließlich entschädigen dafür der Charme des Films und eine große Verfolgungsjagd zum Ende hin.
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