(OT: „Le Ciel Attendra“, Regie: Marie-Castille Mention-Schaar, Frankreich, 2016)
Bislang hatten Sylvie (Clotilde Courau) und ihre Tochter Mélanie (Naomi Amarger) eigentlich ein fabelhaftes Verhältnis. Als Letztere im Internet einen Jungen kennenlernt, ändert sich dies jedoch. Denn der schafft es, durch geschicktes Zuhören die Jugendliche für den Islam zu begeistern und immer weiter zu radikalisieren – bis diese sogar so weit ist, in den Dschihad ziehen zu wollen. Sonia (Noémie Merlant) ist da schon weiter. Die 17-Jährige war bereits mitten in den Vorbereitungen auf einen Anschlag, als sie von der Polizei aufgegriffen wird. Ihre Eltern Catherine (Sandrine Bonnaire) und Samir (Zinedine Soualem), bis dahin ahnungslos, versuchen nun verzweifelt, ihre Tochter zu verstehen und wieder zurückzuholen.
Gesellschaftliche Gleichgültigkeit kann man Marie-Castille Mention-Schaar sicher nicht vorwerfen. Nachdem sie in dem etwas banalen Willkommen in der Bretagne für den Erhalt eines kleinen Krankenhauses stark machte, entdeckte sie in dem Folgewerk Die Schüler der Madame Anne bereits verloren geglaubte Jugendliche als ihr Thema. Ihr vierter Film Der Himmel wird warten setzt diesen Trend nun fort und packt dabei ein noch heißeres Eisen an: junge Französinnen, die sich – zumindest aus Sicht der Eltern – aus heiterem Himmel und ohne erkennbaren Grund Terrororganisationen anschließen.
Die Suche nach Antworten
Das Thema Terrorismus ist in Filmen natürlich immer ein dankbares Thema. Böse, bärtige Burschen, die unschuldige Menschen in die Luft sprengen wollen, das ist eine dankbare Vorlage, um stählerne Helden aus dem Westen in Szene zu setzen. In Der Himmel wird warten gibt es jedoch keine Helden. Und auch von den Bösen selbst ist nur wenig zu sehen. Stattdessen widmet sich Mention-Schaar der Frage, was einen bislang unbescholtenen Menschen dazu veranlassen könnte, sich diesem Wahnsinn anschließen zu wollen. Das ist auch deshalb spannend, weil sich diese hier nicht aus sozialen Brennpunkten rekrutieren. Die beiden Jugendlichen leiden keine Not, wandeln nicht Verzweiflung in Leidenschaft. Die üblichen Klischees, sie wollen hier nicht greifen.
Das macht Der Himmel wird warten aber auch zu einer verstörenden, frustrierenden Angelegenheit, die Angst macht, weil sie mitten unter uns beginnt. Nicht in einem fernen Land, das wir nur aus den Nachrichten kennen. Gemeinsam mit den Eltern stehen wir hier hilflos daneben, können erst einmal so gar nicht verstehen, wie die beiden derart krude Gedanken in sich aufnehmen konnten. Mention-Schaar gelingt es auch nur zum Teil, diese Rätsel aufzulösen. Wohl auch weil sie zu komplex sind. In einer Welt, die wir immer weniger verstehen, die uns immer weniger Halt bietet, da tut es manchmal ganz gut, wenn einer da ist, der zuhört. Einer, der die Richtung vorgibt. Die Geschichte der beiden, das ist auch die Geschichte einer Sehnsucht. Und die Geschichte von Leuten, die diese Sehnsucht geschickt auszunutzen wissen.
Der Anti-Terror-Kampf in den eigenen vier Wänden
Anders als das thematisch ähnliche Made in France, das von dem Aufbau einer Terrorzelle in Frankreich handelte, gibt es in Der Himmel wird warten keine Actionszenen. Stattdessen wird das Thema hier als Familiendrama umgesetzt. Der eine Handlungsstrang erzählt vom Auseinanderbrechen, der andere von dem Versuch, wieder zusammenzufinden – auch mit Hilfe einer Entradikalisierungsexpertin. Sehenswert sind sie beide, auch dank der zwei Jungdarstellerinnen, die beim César bzw. den Prix Lumières für Nachwuchspreise nominiert waren. Ganz in die Tiefe geht der Film aufgrund der begrenzten Laufzeit natürlich nicht. Zumindest fordert er aber dazu auf, differenzierter hinzuschauen und sich mit den Sorgen und Sehnsüchten der Anhänger auseinanderzusetzen. Und er macht Hoffnung, dass dieser spezielle Anti-Terror-Kampf erfolgreich sein kann, wenn wir ihn nur ernst genug nehmen.
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