Die Welt sehen
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Die Welt sehen

(OT: „Voir du Pays“, Regie: Delphine Coulin/Muriel Coulin, Frankreich/Griechenland, 2016)

Die Welt sehen
„Die Welt sehen“ läuft ab 9. November 2017 im Kino

Endlich sind Aurore (Ariane Labed), Marine (Soko) und die anderen Soldaten aus Afghanistan zurück. Doch bevor sie weiter in die Heimat dürfen, heißt es erst einmal, einen Zwischenstopp in einem Hotel auf Zypern einzulegen. Dort sollen sie die vergangenen Erfahrungen im Rahmen von Gesprächen und gemeinsamen Aktivitäten verarbeiten, damit sie im Anschluss in Frankreich wieder ein normales Leben führen können. Doch das ist leichter gesagt denn getan. Zu traumatisch waren manche Erlebnisse, zu unterschiedlich sind auch die Erinnerungen daran. Immer wieder kommt es auf diese Weise zu Konflikten, sowohl untereinander wie auch mit regulären Touristen und Einheimischen.

Es dauert eine ganze Weile, bis der Satz fällt, der dem Film seinen Titel gibt. Die Welt sehen. So wie vieles hier seine Zeit braucht. Die beiden Schwestern Delphine und Muriel Coulin, die zusammen das Drehbuch schrieben und Regie führten, sind nicht unbedingt Frauen großer Worte. Eine richtige Einführung verweigern sie uns, erklären erst einmal nicht, wo wir sind und was wir an dem Ort zu suchen haben. Und auch später werden die zwei viel damit herumspielen: dem Nichtsagen, dem Verschweigen. Einige Konflikte basieren darauf, dass da etwas gärt, von dem niemand etwas erfahren darf. Jeder müsse selbst mit seinen Problemen fertig werden, sagt einer der Soldaten während der Gesprächsrunden. Was in ihm vorgeht, wir wissen es nicht, dürfen es nicht wissen.

Das Grauen hinter der Idylle
Das funktioniert auch deshalb so großartig, weil Kulisse und Inhalt in einem Kontrast stehen, wie er stärker kaum sein könnte. Eigentlich passt hier vieles kaum zusammen. Das kristallklare Wasser, der nicht enden wollende blaue Himmel, die Sonnenstrahlen, es ist eine schon sehr idyllische Gegend, ein einziger Naturtraum. Im nächsten Moment stecken wir aber in einem virtuellen Kriegsgebiet, anhand einer Art Computerspiel erleben wir die Schrecken wieder. Nur eben nicht real, sondern mit primitiven Grafiken. Und dann wäre da noch der Gegensatz zwischen den Soldaten und den regulären Touristen der Anlage. Dass die nicht viel miteinander zu tun haben, braucht nicht weiter erklärt zu werden, das sieht man auf den ersten Blick.

Tatsächlich ist das Nebeneinander der verschiedenen Gruppen, Ansichten und Hintergründe so absurd, dass Die Welt sehen, alternativ als Wir waren im Krieg bekannt, fast schon eine Komödie sein könnte. Zumindest ist Lachen eine der Reaktionen, wenn es hier wieder zu surreal wird, um das Ganze widerspruchslos anzunehmen. Und doch machen sich die Coulin-Schwestern nicht über ihre Protagonisten lächerlich – obwohl sie keine Probleme damit haben, deren hässlichen Seiten hervorzukehren. Vielmehr zeigen sie auf eine ganz eigene Weise den Wahnsinn des Krieges auf, ohne sich selbst aufs Schlachtfeld begeben zu müssen. Es reicht ihnen, die kaputten Figuren zu zeigen. Denn kaputt sind sie hier alle, auf die eine oder andere Weise.

Männer sind doch (fast) alle gleich
Bei den männlichen Figuren wäre vielleicht ein klein wenig mehr Tiefgang schön gewesen. Die wenigsten davon entwickeln ein echtes Profil, sind eher ein Symptom der Situation. Aber der Schwerpunkt liegt nun mal auf den beiden Frauen, die von Soko (Die Tänzerin) und Labed (Alice und das Meer) auch eindringlich verkörpert werden. Zwei Menschen, die sich durch verkrustete Hierarchien und Ansichten kämpfen müssen. Denen auch eine wirkliche Alternative zum Kampf fehlt. Entsprechend intensiv ist der Film: Jedes Wort wird zu einer potenziellen Waffe, selbst der harmlosesten Situation haftet etwas Bedrohliches an. So als wäre der Alltag zum Krieg geworden, das luxuriöse Hotel ein verkapptes Minenfeld, die Begegnung mit Menschen grundsätzlich nur als Gegner möglich. Das ist nicht schön, sogar unheimlich. Und eben spannend: Bei Die Welt sehen ist die Katastrophe schon lange vorher zu spüren, uns bleibt nichts anderes übrig, als sich bei der immer weiter verschärfenden Situation auf den befreienden Knall zu warten.



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Kriegstraumata inmitten eines Luxushotels? Das klingt absurd, ist es auch. „Die Welt sehen“ ist dennoch keine Komödie, sondern eine spannende Begegnung mit Menschen, die kaputt aus Afghanistan zurückgekehrt sind. Das braucht keine großen Erklärungen und hält für viele der Soldaten nur Oberfläche bereit. Aber es ist eine Oberfläche, die sich lohnt zu sehen.
7
von 10